Ein Pionier der Schwerionentherapie
Der Biophysiker Gerhard Kraft ist im Alter von 81 Jahren in Heidelberg verstorben.
Mit Gerhard Kraft ist ein Pionier der modernen Schwerionentherapie verstorben. Der Biophysiker bleibt als Initiator und entscheidender Wegbereiter der Tumortherapie mit Ionenstrahlen in Erinnerung. Anfang der 1980er-Jahre baute er die biophysikalische Forschungsabteilung beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt auf und leitete diese von 1981 bis 2008. Für seine Forschung und Verdienste erhielt er zahlreiche hochrangige nationale und internationale Auszeichnungen und Ehrungen.
Gerhard Kraft wurde am 29. Oktober 1941 in Heidelberg geboren. Er studierte Physik in Heidelberg und Köln, wo er auch promovierte, und forschte zunächst zu Atom- und Kernphysik. Bei Forschungsaufenthalten in Straßburg und Berkeley (USA) lernte er die dortigen Aktivitäten zur Ionenstrahltherapie kennen und leitete von 1973 an die Forschungsabteilung Atomphysik der GSI sowie ab 1981 als Gründungsdirektor die neue GSI-Biophysik. Er hatte Honorarprofessuren an den Universitäten in Kassel und Darmstadt sowie eine Helmholtz-Professur der Helmholtz-Gemeinschaft inne.
Sein Wirken ist untrennbar mit der Initiative verbunden, die Schwerionentherapie in Deutschland und Europa zu etablieren. Ein extrem präzises Bestrahlungsverfahren sollte die Vorteile des Ionenstrahls – seine Präzision und hohe biologische Wirkung – ausnutzen. Die Krebstherapie mit Ionenstrahlen durchlief an der GSI alle Schritte von der physikalischen und strahlenbiologischen Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung.
Zusammen mit der Radiologischen Klinik der Universität Heidelberg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) und dem Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (heute HZDR) gelang es Kraft, die neuartige Tumortherapie in einem Pilotprojekt zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Der ersten Patientenbestrahlung 1997 gingen vier Jahre technischen Aufbaus der Therapie-Einheit und 20 Jahre Grundlagenforschung in Strahlenbiologie und Physik voraus. Der Aufbau des Behandlungsplatzes erfolgte in Zusammenarbeit der GSI-Abteilungen Biophysik, Materialforschung, Experiment-Elektronik und Informationstechnologie sowie des Beschleunigerbereichs.
Dank des Wirkens von Gerhard Kraft konnte die GSI von 1997 bis 2008 über 440 Patienten mit Tumoren im Kopf- und Halsbereich mit Ionenstrahlen erfolgreich behandeln, was in der Konstruktion des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrums HIT mündete. In der Folge wollte Gerhard Kraft die Schwerionentherapie weiter verbreiten, beispielsweise mit dem Aufbau ähnlicher Therapie-Anlagen in Marburg und Shanghai.
Er beteiligte sich an vielen Initiativen zur Entwicklung der Ionentherapie in Europa und war Gründungsmitglied der Ionentherapie-Initiative „European Network for Research in Light Ion Hadron Therapy“ (ENLIGHT) am CERN. Auf seine Initiative geht auch die Etablierung einer Professur in Strahlenbiophysik an der TU Darmstadt zurück, welche die Strahlenforschung in Deutschland maßgeblich stärkte und den Standort Darmstadt zu einem der führenden Zentren der Strahlenforschung ausgebaut hat.
Für sein Schaffen erhielt Gerhard Kraft zahlreiche Preise, darunter den Erwin-Schrödinger-Preis der Helmholtz-Gemeinschaft 1999 und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse 2008. Außerdem verlieh ihm 2006 die Europäische Strahlenforschungsgesellschaft ERRS den renommierten Bacq- und Alexander-Preis; außerdem ist er Träger des des Otto-Hahn-Preises der Stadt Frankfurt und des Ulrich-Hagen-Preises der Deutschen Gesellschaft für Biologische Strahlenforschung.
In seiner Abteilung legte er Wert auf eine interdisziplinäre Forschungskultur und widmete sich unermüdlich der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. So betreute er deutlich mehr als hundert Abschlussarbeiten. Die zukunftsweisende Forschung Gerhard Krafts hat Spuren hinterlassen, die sogar sichtbar bis ins tägliche Leben der Darmstädter Bevölkerung hineinreichen. So zeigen die Kirchenfenster der evangelischen Kirche im Stadtteil Darmstadt-Wixhausen die Bragg-Kurve, die Grundlage für die Tumortherapie mit schweren Ionen: Sie zeigt die Dosisverteilung bei der Schwerionentherapie.
GSI/FAIR / Kerstin Sonnabend
Weitere Informationen
- GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung: Ionenstrahlen im Kampf gegen Krebs
- GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung: Abteilung Biophysik
- Verein zur Förderung der Tumortherapie mit schweren Ionen e.V.
Weitere Beiträge
- G. Kraft, Schwere Geschütze gegen Krebs, Physik Journal, Februar 2007, S. 29 (PDF)
- G. Kraft, Erste Patienten behandelt!, Physikalische Blätter, Februar 1998, S. 104 (PDF)
- G. Kraft, Das Schwerionen-Tumortherapie-Projekt der GSI – was ist der Stand?, Physikalische Blätter, April 1996, S. 327 (PDF)
- A. Pawlak, Gezielte Strahlenschäden gegen Krebs, Physik Journal, Oktober 2018, S. 10 (PDF)
- K. Sonnabend, Mit Kohlenstoff gegen Krebs, Physik Journal, Dezember 2015, S. 10 (PDF)
- A. Pawlak, „Wir verkaufen nicht nur Hoffnung, sondern Erfolg“, Physik Journal, März 2003, S. 8 (PDF)
- W. Enghardt, Positronen-Emissions-Tomographie bei der Schwerionentherapie, Physikalische Blätter, September 1996, S. 874 (PDF)
- S. Ulbig, Es geht voran, Physikalische Blätter, Januar 1994, S. 9 (PDF)
- Physik Journal Dossier „Medizinphysik“