Elektronen mit unerwartetem Verhalten
Zusammenbruch der Leitfähigkeit bei topologischen Isolatoren entgegen theoretischer Erwartung nicht magnetisch bedingt.
Theoretisch schienen topologische Isolatoren bisher gut verstanden. Die Elektronen sind in diesen Materialien nur in zwei Dimensionen beweglich – nämlich entlang der Oberflächen – und verhalten sich dabei wie masselose Teilchen. Topologische Isolatoren sind daher an ihrer Oberfläche hochleitfähig, im Innern dagegen Isolatoren. Einzig magnetische Felder würden diese Beweglichkeit stören können, so die Theorie. Nun haben Physiker um Oliver Rader und Jaime Sánchez-Barriga aus dem HZB gemeinsam mit Teams anderer HZB-Abteilungen und Gruppen aus Österreich, Tschechien, Russland und Theoretikern aus München diese These widerlegt.
Abb.: In reinem Bismut-Selenid (links) gibt es keine Bandlücke. Bei Zugabe von magnetischem Mangan (4 Prozent, 8 Prozent) bildet sich eine Bandlücke (gestrichelte Linien; Bild: HZB)
Sie untersuchten dafür Proben aus Bismut-Selenid, einem klassischen topologischen Isolator. Er ist wie Blätterteig aus unzähligen extrem dünnen Schichten aufgebaut. Die Proben waren mit dem magnetischen Element Mangan dotiert, wobei die Konzentration des Mangans variierte. Nach der bisherigen Annahme würde sich durch die Dotierung mit den magnetischen Fremdatomen eine sogenannte Bandlücke zwischen den „erlaubten“ Elektronenzuständen öffnen. Dadurch wird die vormals leitfähige Oberfläche isolierend. Mit der Bandlücke gewinnen die Elektronen außerdem einen Teil ihrer Masse zurück. Dabei sollte der Magnetismus der Fremdatome die entscheidende Rolle spielen, so die bisherige Theorie.
Die Physiker konnten in den dotierten Proben tatsächlich nachweisen, wie sich eine Bandlücke bildet. Die Masse der Elektronen stieg von null auf ein Sechstel der Masse freier Elektronen. Die Bandlücke bildete sich jedoch unabhängig von der Stärke der Magnetisierung und sogar dann, wenn die Probe mit nichtmagnetischen Fremdatomen versetzt war. Damit bewiesen die Physiker, dass die Bandlücke nicht auf die ferromagnetische Ordnung im Inneren oder an der Oberfläche des Materials zurückgeht und auch nicht auf die lokalen magnetischen Momente des Mangans zurückzuführen ist.
„Wir haben sogar Oberflächenbandlücken gemessen, die zehnmal größer sind als die theoretisch vorhergesagten magnetischen Bandlücken, und zwar unabhängig davon, ob wir magnetische oder nichtmagnetische Fremdatome eingebaut hatten“, sagt Jaime Sánchez-Barriga.
Stattdessen haben die Forscher eine andere Deutung vorgeschlagen: Mithilfe der sogenannten resonanten Photoemissions-
„Für uns als Experimentatoren ist es immer interessant, wenn ein Experiment nicht die theoretische Erwartung bestätigt. Dass die beobachtete Bandlücke deutlich größer ist als von der Theorie vorhergesagt, ist ein spannendes Ergebnis. Um sicherzugehen, dass wir uns nicht irren, haben wir das ganze Arsenal an Analyse-
Laut Rader lassen sich zwei Schlussfolgerungen schon jetzt aus der Arbeit ziehen: Zum einen zeigt sich, dass „topologisch geschützte“ Zustände bislang noch nicht vollständig verstanden sind. Zum anderen bedeutet es, dass bislang vernachlässigte Fragestellungen nun in den Vordergrund treten. Wie lassen sich durch die Wahl der magnetischen Fremdatome Streuprozesse minimieren? Und welche Rolle spielt die Einbauposition der Fremdatome im Wirtsgitter? Da topologische Isolatoren interessante Kandidaten für künftige energieeffiziente Informationstechnologien sind, lohnt es sich, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
HZB / DE