23.02.2016

Elektronen mit unerwartetem Verhalten

Zusammenbruch der Leitfähigkeit bei topologischen Isolatoren entgegen theoretischer Erwartung nicht magnetisch bedingt.

Theoretisch schienen topologische Isolatoren bisher gut verstanden. Die Elektronen sind in diesen Materialien nur in zwei Dimensionen beweglich – nämlich entlang der Oberflächen – und verhalten sich dabei wie masselose Teilchen. Topologische Isolatoren sind daher an ihrer Oberfläche hochleit­fähig, im Innern dagegen Isolatoren. Einzig magnetische Felder würden diese Beweglichkeit stören können, so die Theorie. Nun haben Physiker um Oliver Rader und Jaime Sánchez-Barriga aus dem HZB gemeinsam mit Teams anderer HZB-Abteilungen und Gruppen aus Österreich, Tschechien, Russland und Theoretikern aus München diese These widerlegt.

Abb.: In reinem Bismut-Selenid (links) gibt es keine Bandlücke. Bei Zugabe von magnetischem Mangan (4 Prozent, 8 Prozent) bildet sich eine Bandlücke (gestrichelte Linien; Bild: HZB)

Sie untersuchten dafür Proben aus Bismut-Selenid, einem klassischen topologischen Isolator. Er ist wie Blätterteig aus unzähligen extrem dünnen Schichten aufgebaut. Die Proben waren mit dem magnetischen Element Mangan dotiert, wobei die Konzentration des Mangans variierte. Nach der bisherigen Annahme würde sich durch die Dotierung mit den magnetischen Fremdatomen eine sogenannte Bandlücke zwischen den „erlaubten“ Elektronen­zuständen öffnen. Dadurch wird die vormals leitfähige Oberfläche isolierend. Mit der Bandlücke gewinnen die Elektronen außerdem einen Teil ihrer Masse zurück. Dabei sollte der Magnetismus der Fremd­atome die entscheidende Rolle spielen, so die bisherige Theorie.

Die Physiker konnten in den dotierten Proben tatsächlich nachweisen, wie sich eine Bandlücke bildet. Die Masse der Elektronen stieg von null auf ein Sechstel der Masse freier Elektronen. Die Bandlücke bildete sich jedoch unabhängig von der Stärke der Magnetisierung und sogar dann, wenn die Probe mit nicht­magnetischen Fremd­atomen versetzt war. Damit bewiesen die Physiker, dass die Bandlücke nicht auf die ferromagnetische Ordnung im Inneren oder an der Oberfläche des Materials zurückgeht und auch nicht auf die lokalen magnetischen Momente des Mangans zurückzuführen ist.

„Wir haben sogar Ober­flächen­band­lücken gemessen, die zehnmal größer sind als die theoretisch vorher­gesagten magnetischen Band­lücken, und zwar unabhängig davon, ob wir magnetische oder nichtmagnetische Fremdatome eingebaut hatten“, sagt Jaime Sánchez-Barriga.

Stattdessen haben die Forscher eine andere Deutung vorgeschlagen: Mithilfe der sogenannten resonanten Photo­emissions-Spektro­skopie haben sie Streu­prozesse beobachtet, die zum Entstehen der Bandlücke führen könnten. Die Forscher halten es daher für denkbar, dass die Anwesenheit der Fremdatome den Elektronen ermöglicht, die Oberfläche zu verlassen und sozusagen im Volumen zu verschwinden.

„Für uns als Experimentatoren ist es immer interessant, wenn ein Experiment nicht die theoretische Erwartung bestätigt. Dass die beobachtete Bandlücke deutlich größer ist als von der Theorie vorhergesagt, ist ein spannendes Ergebnis. Um sicherzugehen, dass wir uns nicht irren, haben wir das ganze Arsenal an Analyse-Möglichkeiten bei BESSY II genutzt, zum Beispiel die Photo­elektronen-Mikroskopie und hohe Magnetfelder bis sieben Tesla. Dadurch können wir wirklich ausschließen, dass ein Magnetismus, etwa auf der Nanometerskala, doch als mögliche Ursache auftritt“, erklärt Oliver Rader.

Laut Rader lassen sich zwei Schlussfolgerungen schon jetzt aus der Arbeit ziehen: Zum einen zeigt sich, dass „topologisch geschützte“ Zustände bislang noch nicht vollständig verstanden sind. Zum anderen bedeutet es, dass bislang vernachlässigte Frage­stellungen nun in den Vordergrund treten. Wie lassen sich durch die Wahl der magnetischen Fremdatome Streuprozesse minimieren? Und welche Rolle spielt die Einbauposition der Fremdatome im Wirtsgitter? Da topologische Isolatoren interessante Kandidaten für künftige energieeffiziente Informations­technologien sind, lohnt es sich, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

HZB / DE

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