22.06.2012

Erster Störfall in der Geschichte der Kernkraft

70 Jahre danach erinnert die Universität Leipzig mit einer öffentlichen Sonntagsvorlesung am 24. Juni an die Uranmaschinen-Versuche von damals.

Ein ungeplanter Zwischenfall am 23. Juni 1942 in einem Labor des Physikalischen Instituts der Universität Leipzig zeigte die ungeheure Kraft und das Potenzial, aber auch die Gefahr der Kernkraft: Als der Physiker Prof. Robert Döpel (1895-1982) seinen Mitarbeiter nach einer Reihe glimpflich verlaufener Experimente mit einer "Uranmaschine" bat, den Einfüllstutzen der Apparatur zu öffnen, passierte es: Ein Uranbrand bildete sich. Was Döpel und seinem Mitarbeiter damals noch nicht bewusst war: Sie hatten gerade den ersten Störfall in der Geschichte der Kernkraft erlebt.

Abb.: Die Uranmaschine des Physikers Robert Döpel (Bild: Universitätsarchiv Leipzig)

Dietmar Lehmann kennt jedes Detail dieser Experimente. „Sie haben den Beweis erbracht, dass Nuklearenergie erzeugt werden kann“, sagt der Kernphysiker, der an der Universität Leipzig tätig war und mittlerweile im Ruhestand ist. Der Vorfall damals geriet wieder ins öffentliche Bewusstsein, als er gemeinsam mit dem Professor Christian Kleint Anfang der 1990er Jahre für den Band „Werner Heisenberg in Leipzig. 1927 – 1942“ für die Sächsische Akademie der Wissenschaften recherchierte. Sie fanden einen Koffer voller Unterlagen, in denen es unter anderem auch um den Uranbrand im Juni 1942 ging. Diesem Vorfall sei eine Reihe von Experimenten Döpels vorausgegangen, der die Neutronenvermehrung nachweisen und damit die technische Nutzbarmachung von Kernenergie erforschen wollte. Bei einem habe sich der Werkstattmeister die Hand verbrannt, als er im Auftrag des Physikers zwei Esslöffel Uranpulver in ein Aluminiumgefäß streuen wollte. „Auch schon dabei entstand ein Brand“, berichtet Dr. Lehmann. Die Kernspaltung selbst – dessen waren sich die Physiker damals bereits bewusst – ist ein Prozess, der sehr viel mehr Energie freisetzt.

Als die Versuche beendet waren, ließ Döpel an jenem 23. Juni 1942 erstmals den Einfüllstutzen der Uranmaschine öffnen. Aus diesem waren ein paar Tage zuvor Gasblasen ausgetreten. Es zischte. Einige Sekunden danach schoss eine Stichflamme aus der Apparatur. Das Uran verbrannte und sprühte Funken. „Das war zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet worden“, sagt Lehmann. Gerade, als das Feuer drei Stunden später unter Kontrolle schien, entfachte es aufs Neue. Das Kugelgefäß mit dem Uranpulver zersprang. Die Glut des Uranpulvers sprühte sechs Meter in die Höhe. Die Wissenschaftler riefen die Feuerwehr, die den Brand mit Decken und Schaum eindämmte und in der darauf folgenden Nacht eine Brandwache stellte. In der nächsten Nacht überwachten Döpel und seine Kollegen den Brandherd selbst und erst am Tag darauf brannte nichts mehr. Die Wissenschaftler seien damals zwar einer geringen Dosis Strahlung ausgesetzt gewesen. Über gesundheitliche Schäden wurde aber nichts berichtet.

„Natürlich war das der erste Störfall in der Geschichte der Kernkraft“, sagt der Dekan der Fakultät für Physik und Geowissenschaften, Jürgen Haase. „Die Leipziger Physik hat damals bahnbrechende Forschung auch auf dem Gebiet der Kernphysik betrieben. Dabei kann auch mal etwas passieren“, fügt er hinzu. Am 24. Juni 2012 – 70 Jahre nach diesen Ereignissen – berichtet Lehmann in einer Sonntagsvorlesung im Gebäude der Fakultät in der Linnéstraße 5 über die Uranmaschinen-Versuche in Leipzig. Zuvor spricht der Physiker über „Ionisierende Strahlung – Die unsichtbare Botschaft aus dem Inneren radioaktiver Atome“ und führt dazu Experimente vor. Im zweiten Teil der Sonntagsveranstaltung informiert Reinhard Steffler von der Branddirektion Leipzig das Publikum über den Feuerwehreinsatz vom 23. Juni 1942 im Vergleich zu Unfällen in Kernkraftwerken in der jüngeren Geschichte. Im Vortrag erfährt der Zuhörer von der mühevollen Rekonstruktion des damaligen Einsatzes anhand der wenigen vorhandenen Unterlagen.

U. Leipzig / OD

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