Erstes Resultat eines neuartigen Reaktorneutrino-Experiments
Physiker des Double-Chooz-Experiments haben das Verschwinden von Anti-Neutrinos über eine kurze Distanz nachgewiesen.
Neutrinos sind die häufigsten aber zugleich am schwierigsten nachzuweisenden Teilchen im Universum. Sie existieren in drei Arten, „Flavour“ genannt, und seit den späten 1990er Jahren ist bekannt, dass sie sich von der einen in die andere Art umwandeln können. Dieses Phänomen wird Neutrino-Oszillation genannt und impliziert, dass Neutrinos eine Masse haben müssen. Neutrino-Oszillationen sind gegenwärtig ein Feld intensiver Forschung mit einer Reihe von Experimenten, die nach einer vollständigen Beschreibung der zugrunde liegenden Mechanismen suchen.
Abb.: Überblick über das Double-Chooz-Experiment mit den beiden Detektoren am Kernkraftwerk. (Bild: Double-Chooz)
Das Double-Chooz-Experiment widmet sich der Messung von Neutrino-Oszillationen mit bisher unerreichter Präzision, indem es Elektron-Anti-Neutrinos beobachtet, die in dem benachbarten Kernreaktor bei Chooz in den französischen Ardennen entstehen. Double-Chooz begann vor sechs Monaten mit der Datenaufnahme. Auf der Lownu-Konferenz in Korea hat die Kollaboration gerade ihre ersten Ergebnisse angekündigt und berichtet über neue Daten, welche im Einklang mit einer Oszillation über kurze räumliche Distanz sind. Das Resultat basiert auf der Beobachtung des „Verschwindens“ von Anti-Neutrinos. Die Messungen ergaben gegenüber dem erwarteten Neutrinofluss aus dem Kernreaktor eine Abweichung nach unten. Diese kam dadurch zustande, dass die Elektron-Anti-Neutrinos in andere Neutrinosorten umgewandelt wurden.
Den drei verschiedenen Neutrino-Flavours entsprechen jeweils als Gegenstück die drei geladenen Leptonen: Elektron, Myon und Tau. Die Oszillationen hängen von drei Mischungsparametern ab, von denen zwei relativ groß sind und bereits gemessen wurden. Der dritte Mischungswinkel, genannt θ13, war bisher nur ungenau bekannt; es konnte lediglich eine Obergrenze hierfür angegeben werden. Aus der Vermessung des „Verschwindens“ von elektronischen Anti-Neutrinos hat die Double-Chooz-Kollaboration Hinweise für eine Oszillation gewonnen die auch den dritten Mischungswinkel mit dem folgenden Wert einbezieht: sin2(2θ13) = 0,085 ± 0,051. Die Wahrscheinlichkeit, dass keine solche Oszillation vorliegt, beträgt nach den vorläufigen Resultaten nur 7,9 Prozent.
Die Bestimmung dieses letzten Mischungswinkels liefert eine kritische Größe für zukünftige Experimente, welche zum Ziel haben, einen Unterschied zwischen Neutrino- und Anti-Neutrino-Oszillationen zu messen (leptonische CP-Verletzung). Darüber hinaus verweist dies indirekt auf den Ursprung der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie im Universum.
Abb.: Photovervielfacher im Inneren eines der Double-Chooz-Detektoren. (Bild: Double-Chooz)
Im Juni 2011 wurden in Beschleunigerexperimenten erste Hinweise auf eine Oszillation myonischer in elektronische Neutrinos, welche diesen dritten Mischungswinkel beinhalten, gefunden. Durch die Messung des Verschwindens von elektronischen Antineutrinos liefert die Double-Chooz-Kollaboration komplementäre und wesentliche Evidenz für die Oszillation, die ebenfalls den dritten Mischungswinkel einschließt.
Double-Chooz betreibt zur Zeit einen „fernen“ Detektor in einem Abstand von etwa 1000 Metern zu den Reaktorkernen. Die Genauigkeit der Messungen wird sich mit der Zeit weiter erhöhen, wenn 2012 ein weiterer „naher“ Detektor im Abstand von 400 Metern in Betrieb genommen wird. Bei dieser geringeren Distanz wird noch keine signifikante Umwandlung in Neutrinos anderer Art erwartet. Durch die Kombination der Ergebnisse aus beiden Detektoren kann die Größe sin2(2θ13) mit noch höherer Präzision bestimmt werden.
Die Detektoren enthalten jeweils zehn Kubikmeter einer speziell für das Experiment entwickelten organischen Flüssigkeit (Szintillator) als Nachweismedium. Der Szintillator enthält Gadolinium, um die in der Wechselwirkung der Anti-Neutrinos aus den Reaktoren mit Protonen (Wasserstoffkernen) gebildeten Neutronen einzufangen. Dabei entstehen Lichtblitze, die etwas später auftreten als die Lichtblitze vom Zerstrahlen eines in derselben Reaktion entstandenen Positrons mit einem Elektron. Zur Abschirmung ist die Nachweisflüssigkeit von drei Schichten anderer Flüssigkeiten in Nylongefäßen umgeben. 390 empfindlichen Photovervielfachern wandeln die Lichtblitze in elektronische Signale um. Das Datenaufnahmesystem wird die nächsten fünf Jahre Signale registrieren und zur Auswertung aufbereiten.
MPIK / PH