04.06.2009

Experten beraten Notfallplan gegen Klimawandel

Martin Visbeck vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften im Gespräch



Kiel (dpa) - Zur Rettung der Erde vor einem Klimakollaps könnten Wissenschaftler mit einem Bombardement von Partikeln die Erdatmosphäre eintrüben und so die Temperatur auf dem Planeten drosseln. Dies ist kein Science-Fiction-Stoff, sondern eines der Themen eines Kolloquiums, das am 3. Mai 2009 in Kiel begonnen hat. «Technisch und im Hinblick auf die notwendige Abstimmung zwischen den Staaten wäre das vielleicht in 50 Jahren möglich», sagte der Klimaforscher Martin Visbeck vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM GEOMAR) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Wir diskutieren jetzt, ob man so etwas will, was es bringt, und unter welchen Voraussetzungen die Staatengemeinschaft sich überhaupt vorstellen könnte, solche Lösungen ins Kalkül zu ziehen.»

In der Frage, ob großtechnische Verfahren (Geo-Engineering) als Notfallpläne zur Milderung des Klimawandels einkalkuliert werden sollten, sind die Wissenschaftler laut Visbeck gespalten. «Einige sagen, das gucken wir gar nicht an. Andere sagen, wir müssen uns damit beschäftigen, denn nur dann kann man eine vernünftige Aussage machen, wenn die Frage ernsthaft aufkommt.» Viele wissenschaftliche, technische, ökonomische und rechtliche Probleme seien völlig offen. Visbeck ist Mitinitiator des Kolloquiums und Direktor des Kiel Earth Institutes. Diese Internet-Plattform zur fächerübergreifenden Diskussion und Zusammenarbeit wird getragen vom IFM GEOMAR und vom Institut für Weltwirtschaft (IfW).

«Einige Kollegen sagen: Im Notfall, wenn alle Klimaschutzmaßnahmen nicht genug gegriffen haben, sollten wir im Sinne eines Plans B vielleicht bereit sein, für 10 oder 20 Jahre die Erde abzukühlen», sagte Visbeck. «Man würde Partikel in die Stratosphäre schicken, um das Sonnenlicht zu trüben. Da gibt es übrigens auch skurrilere Versionen wie die, dass jeder Erdenbürger zweihundert Quadratmeter weiß streichen soll, oder die Ozeane mit Eisen zu düngen.»

Keines solcher Modelle könne jemals eine Alternative zu einer CO2- neutralen Gesellschaft sein, betonte Visbeck. Ungewiss seien auch die Nebenwirkungen. Die Natur macht es vor, wie sich ein Abdimmen der Sonne auswirkt: «Nach Vulkanausbrüchen sinkt die Temperatur global um etwa ein Grad», sagte Visbeck. «Die Vulkane werfen ja Partikel in die Stratosphäre. Mit moderner Raketentechnologie könnten wir das auch - wenn wir das wollen.» So wäre es erstmals möglich, das Klima um seiner selbst willen mit Eingriffen zu ändern. «Da kann man sich natürlich fragen, ob das überhaupt moralisch gerechtfertigt wäre.» So hat das Kolloquium auch den Titel: «Geoengineering ­ Cure or Malpractice?» (Geo-Engineering - Heilung oder Untat).

Über all dies müsse diskutiert werden, sagte Visbeck. Nur dann könnten die Wissenschaftler Empfehlungen geben, wenn das Thema akut wird. Zu den Kosten sagte Visbeck, derartige Optionen wären wohl weit billiger, als in der Energieproduktion auf Kohlekraftwerke zu verzichten und nur regenerative Energien zu nutzen. «Aber die Risiken sind teils so hoch, dass die Ökonomie dem nicht standhält.»

Unabdingbar wäre eine Einigung der Staatengemeinschaft: «Wenn man jetzt den Planeten willentlich dimmen würde, käme das rechtlich einer Kriegserklärung gleich. Das ist der anzunehmende Rechtsrahmen.» Also müsste geklärt werden, ob über die UNO oder auf anderem Wege ein völkerrechtlicher Rahmen für Geo-Engineering geschaffen werden kann.

Gespräch: Wolfgang Schmidt, dpa


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AL

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