Galaktische Ausreißer
Enge Begegnung von drei Galaxien katapultiert Sternsysteme aus Haufen hinaus.
Kompakte elliptische Galaxien enthalten bei einem Durchmesser von wenigen tausend Lichtjahren mehrere Milliarden Sterne. Knapp dreißig solcher Sternsysteme waren bislang bekannt, die meisten davon befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft der zentralen, massereichen Galaxie eines Haufens. Diese Lage liefert einen Hinweis auf den Ursprung der seltsamen Systeme: Es handelt sich, so die Vermutung, um ursprünglich ganz normale Exemplare, denen durch die Gezeitenkraft der nahen Riesengalaxie die äußeren Sterne entrissen wurden („tidal stripping“).
Abb.: Eine durch Gezeitenkräfte ihrer äußeren Sterne beraubte elliptische Galaxie umkreist eine Riesengalaxie (oben), es kommt zu einer engen Begegnung mit einem weiteren System (Mitte), durch die das kleine System aus dem Galaxienhaufen heraus katapultiert wird (unten). (Bild: ESA / A. Zolotov)
Doch vor zwei Jahren stieß ein Team um Avon Huxor vom Astronomischen Recheninstitut in Heidelberg auf eine isolierte kompakte elliptische Galaxie außerhalb eines Galaxienhaufens. „Die isolierte Position deutet darauf hin, dass es eine weiteren Mechanismus gibt, der solchen Galaxien die äußeren Sterne entreißt“, folgerten die Forscher damals. Inzwischen wurden weitere isolierte kompakte Systeme aufgespürt und haben das Problem drängender gemacht. Entstehen diese Sternsysteme vielleicht aus der Verschmelzung zweier Zwerggalaxien? Das würde in starkem Widerspruch zu den Ergebnissen numerischer Simulationen der Galaxienentstehung und -entwicklung im kosmologischen Standardmodell stehen.
Igor Chilingarian und Ivan Zolotukhin von der Staatsuniversität Moskau sind dieser Frage nun mithilfe des „Virtual Astronomical Observatory“ nachgegangen. In diesem Netz astronomischer Datenbanken sind insbesondere die kompletten Daten von großen Himmels-Durchmusterungen wie dem optischen Sloan Digital Sky Survey oder dem ultravioletten Survey des Galaxy Evolution Explorers für Forscher in aller Welt zugänglich.
„Beim Graben in dieser astronomischen Daten-Mine fanden wir 195 weitere kompakte elliptische Galaxien in allen Arten von Umgebungen“, berichten die Forscher. Die meisten dieser Systeme befinden sich erwartungsgemäß im Inneren von Galaxienhaufen. Doch elf von ihnen sind isolierte System. Die dynamischen Eigenschaften der Galaxien und die Eigenschaften ihrer Sternpopulationen unterscheiden sich allerdings nicht voneinander – ein deutlicher Hinweis auf eine identische Entstehungsgeschichte, so Chilingarian und Zolotukhin.
Die beiden Forscher sehen isolierte kompakte elliptische Galaxien als Opfer enger Begegnungen von gleich drei Galaxien: Das System mit der kleinsten Masse bekommt dabei einen „Kick“ verpasst und wird so mit hoher Geschwindigkeit aus dem Galaxienhaufen hinaus katapultiert. Für dieses Szenario spricht, dass ein Teil der neu entdeckten kompakten elliptischen Galaxien, die sich – noch – innerhalb von Haufen befinden, offenbar große Eigenbewegungen mit Geschwindigkeiten zeigen, die größer sind als die Fluchtgeschwindigkeit ihres Haufens.
Abb.: Positionen der aufgespürten kompakten elliptischen Galaxien, sowie Bilder einer Auswahl dieser Systeme. (Bild, : I. Chilingarian & I. Zolotukhin / AAS)
„Das Tidal-Stripping-Szenario kann also alle beobachteten kompakten elliptischen Galaxien erklären, auch die isolierten Systeme“, schließen Chilingarian und Zolotukhin. Der gravitative Auswurf durch die Begegnung von drei Galaxien könnte darüber hinaus auch die noch selteneren isolierten ruhigen Zwerggalaxien erklären. Diese Systeme zeigen keinerlei Anzeichen für ein „tidal stripping“, sind also vor dem Auswurf der großen Galaxie nicht so nahe gekommen, als dass sie durch die Gezeitenkräfte ihre äußeren Sterne verloren hätten.
Rainer Kayser
Weitere Infos
Verwandte Beiträge
OD