13.04.2015

Heiß und kalt zugleich

Wolke aus Quantenteilchen kann mehrere Temperaturen gleichzeitig haben – Experiment liefert Einblicke in Verhalten großer Quantensysteme.

Temperatur ist eine sehr nützliche Größe. Sie ermöglicht uns eine einfache statistische Aussage über die Energie eines hochkomplizierten Teilchengewirrs. Die Details des Systems muss man dabei gar nicht genau kennen. An der TU Wien wurde nun in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg untersucht, auf welche Weise Quantenteilchen einen solchen statistisch beschreibbaren Zustand erreichen. Das überraschende Ergebnis: Eine Wolke aus Atomen kann mehrere Temperaturen gleichzeitig annehmen. Damit ist ein wichtiger Baustein zum Verständnis großer Quantensysteme und ihrer exotischer Eigenschaften gelungen.

Abb.: Atomchip zum Kühlen und Manipulieren der ultrakalten Atomwolken. (Bild: TU Wien)

Die Luft um uns herum besteht aus unzähligen Molekülen, die ständig wild durcheinander fliegen. Jeder Versuch alle diese Moleküle zu verfolgen und ihre Flugbahnen zu beschreiben ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch für viele Anwendungen ist das auch gar nicht nötig. Man kann Eigenschaften finden, die das gemeinsame Verhalten aller Moleküle statistisch beschreiben – etwa den Luftdruck oder die Temperatur, die sich aus den Geschwin­digkeiten der Moleküle ergibt.

Diese statistische, Boltzmannsche Betrachtungsweise ist außerordentlich erfolgreich und beschreibt viele physikalische Vorgänge, vom kochenden Wassertopf bis zu Phasen­übergängen in Flüssig­kristallen, die wir für Flach­bild­schirme verwenden. Trotz intensiver Anstrengungen gibt sie aber immer noch Rätsel auf, vor allem, wenn es um Quanten­systeme geht. Wie aus vielen quanten­mechanischen Einzel­teilen die bekannten Gesetze der statistischen Physik – und damit letztlich auch unsere klassische Welt – hervorgehen, ist eine der großen offenen Fragen der Physik.

Am Atominstitut in Wien ist es nun in Kooperation mit der Uni Heidelberg gelungen, Vorgänge in einem Quanten-Viel­teilchen­system in Experi­menten präzise zu beobachten, um die Ausbildung statis­tischer Eigen­schaften besser zu verstehen. Dazu fing das Team um Jörg Schmied­mayer Wolken aus wenigen tausend Atomen auf einem speziellen Mikro­chip ein und kühlte sie auf Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt. Dabei kam Erstaunliches zu Tage: Nach einer plötzlichen Änderung der äußeren Bedingungen am Mikro­chip strebt das Quantengas hin zu einem Gleich­gewichts­zustand, der durch ein statistisches Modell mit mehreren Tempe­raturen beschrieben wird. Das Gas kann also heiß und kalt zugleich sein. Die Anzahl der Temperaturen hängt davon ab, wie die Forscher die Gase manipu­lierten. „Mit unseren Mikro­chips können wir diese komplexen Quantensysteme sehr gut kontrol­lieren und ihr Verhalten untersuchen", sagt Studien­leiter Tim Langen. „Das ist besonders wichtig, da es bereits zuvor entsprechende theore­tische Vermutungen gab, das vorher­gesagte Verhalten aber noch nie direkt beobachtet und kontrol­liert erzeugt werden konnte“.

Durch die neuen Beobachtungen lassen sich die Gesetze der Quanten­welt besser mit der statis­tischen Beschrei­bung vereinen. Dies ist für eine Viel­zahl von Quanten­systemen bedeutsam, in Zukunft möglicher­weise auch für eine tech­nische Nutzung. Die Resul­tate öffnen einen neuen Blick darauf, wie aus der selt­samen Quanten­welt unsere alltägliche Welt – mit ihren „klassi­schen“ Eigen­schaften wie Tempe­ratur – hervorgeht.

TU Wien / OD

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