30.01.2014

High-Speed-Röntgentechnik hat's drauf

Auf dem Weg zu besseren Katalysatoren – Forscher beobachten atomare Oberflächenstruktur unter Reaktionsbedingungen

Mit einer neuen Röntgentechnik hat ein schwedisch-deutsches Forscherteam einem Katalysator live bei der Arbeit zugesehen und die atomare Struktur seiner Oberfläche bestimmt. Die an der Röntgenlichtquelle PETRA-III entwickelt Technik soll die Konstruktion optimierter Materialien wie etwa besseren Katalysatoren auf der atomaren Ebene ermöglichen. Mit ihr lässt sich die atomare Struktur von Oberflächen deutlich schneller bestimmen als bisher, so dass Live-Aufnahmen von Oberflächenreaktionen wie Katalyse, Korrosion und Wachstumsprozessen mit einer Zeitauflösung von weniger als einer Sekunde möglich werden. „Wir können damit Oberflächenprozesse verfolgen, die sich bislang nicht in Echtzeit beobachten ließen, und die in vielen Bereichen der Materialforschung eine zentrale Rolle spielen“, erläutert Andreas Stierle, der das NanoLab bei DESY leitet und als Professor an der Uni Hamburg lehrt.

Abb.: Schematische Darstellung der Katalysatoroberfläche (Bild: J. Gustafson, U. Lund)

Materialforschern fehlt derzeit eine Methode, um die komplette atomare Struktur einer Oberfläche während dynamischer Prozesse in akzeptabler Zeit aufzunehmen. Existierende Verfahren sind entweder zu langsam oder müssen im Hochvakuum stattfinden, was beispielswiese ein Reaktionsgas in der Probenkammer weitgehend ausschließt und damit auch die Live-Beobachtung von Reaktionen der Oberfläche mit Gasen bei annähernd atmosphärischem Druck.

„Unser Ziel war, Oberflächen unter reaktiven, anwendungsnahen Bedingungen live anzuschauen“, sagt Stierle. Die Forscher nutzten dazu die hochenergetische Röntgenstrahlung von PETRA-III. Bei konventionellen Röntgenstreuexperimenten mit niedrigerer Energie müssen die Probe und der Detektor gedreht werden, um das gesamte Beugungsmuster sorgfältig Schritt für Schritt abzutasten – eine Prozedur, die oft zehn Stunden oder mehr Messzeit in Anspruch nimmt.

Die hochenergetische Röntgenstrahlung von PETRA-III streut dagegen in einen viel kleineren Winkelbereich. Das deutlich kompaktere Beugungsmuster lässt sich mit einem Hochleistungs-Flächendetektor an der High-Energy-Materials-Science-Messtation P07 komplett in einer Aufnahme bestimmen. Dieser Ansatz beschleunigt die Datenaufnahme in Kombination mit einem leistungsstarken Flächendetektor um das Zehn- bis Hundertfache. Auf diese Weise können die Forscher die komplette Oberflächenstruktur in weniger als zehn Minuten aufnehmen oder individuelle Strukturmerkmale mit einer zeitlichen Auflösung von weniger als einer Sekunde beobachten. „Außerdem erlaubt uns dies, unbekannte oder unerwartete Strukturen leichter zu identifizieren“, berichtet Stierle.

Abb.: Experimentaufbau an der High Energy Materials Science Beamline P07 bei PETRA-III. Der Röntgenstrahl kommt von links, läuft durch den Probentisch und fällt auf den Detektor (rechts; Bild: U. Rütt, O. Gutowski, DESY)

Für ihre Untersuchungen installierte die Gruppe eine Probenkammer, in der ein Reaktionsgasdruck von bis zu einem Bar herrschen darf, um realistischen Reaktionsbedingungen nahezukommen. Ein Bar entspricht in etwa dem normalen Luftdruck. Dank eines integrierten Massenspektrometers lässt sich parallel die Verteilung der Gase in der Probenkammer live verfolgen.

Zum Test ihres neuen Ansatzes beobachteten die Wissenschaftler einen Palladium-Katalysator live bei der Arbeit, wie er giftiges Kohlenmonoxid in unbedenkliches Kohlendioxid umwandelt – ähnlich wie es der Katalysator im Auto macht. Sie montierten dazu einen zwei Millimeter dicken Palladium-Einkristall mit einem Durchmesser von einem Zentimeter in der Probenkammer und leiteten eine Mischung aus Kohlenmonoxid, Sauerstoff und Argon als Trägergas hinein. Per Röntgenblick konnten sie verfolgen, wie das Palladium in dem Moment als Katalysator aktiv wurde, sobald Sauerstoff in die Kammer floss. „Wir können zusehen, wie der Katalysator vom nicht reaktiven in den reaktiven Zustand umschaltet“, berichtet Stierle.

Die Forscher hoffen, mit der neuen Methode auch die sogenannte aktive Phase des Katalysators zu identifizieren. Seit Jahrzehnten rätseln Wissenschaftler, ob die Umwandlung etwa von Kohlenmonoxid in Kohlendioxid an der blanken Metalloberfläche, an einer Oxidschicht oder an Oxidinseln auf der Oberfläche stattfindet. „Mit der neuen Technik ergibt sich die Chance, die Reaktionszentren live mit atomarer Auflösung zu identifizieren“, betont Stierle.

Abb.: Kombination aller Röntgenstreubilder der Katalysatoroberfläche mit einer einfachen Oxidschicht auf dem Palladium-Kristall – die hellen Reflexe geben Aufschluss über die Oxidschicht sowie über das darunter liegende Metall. (Bild: J. Gustafson, U. Lund)

Mit dem Wissen ließen sich wiederum Katalysatoren optimieren. Katalysatoren sind Stoffe, die eine chemische Reaktion beschleunigen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Die neue Messmethode hat eine breite Vielzahl von Anwendungen in der Materialforschung. Die Wissenschaftler erwarten völlig neue Einblicke in die Kinetik von Oberflächenprozessen, was die atomare Konstruktion neuer Materialien ermöglicht.

DESY / OD

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