Ingenieurmangel
Warum viele junge Menschen den Lockruf aus Wirtschaft und Hochschulen überhören. Nur jeder zehnte Schüler zieht den Beruf des Ingenieurs in Erwägung. 90 Prozent der Berufstätigen dagegen sind mit ihrer Wahl zufrieden.
Warum viele junge Menschen den Lockruf aus Wirtschaft und Hochschulen überhören. Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben falsche Vorstellungen von Technikberufen. Sie unterschätzen die Anforderungen des Studiums und rechnen sich vergleichsweise schlechte Berufsperspektiven aus. Nur jeder zehnte Schüler zieht den Beruf des Ingenieurs in Erwägung. 90 Prozent der Berufstätigen dagegen sind mit ihrer Wahl zufrieden.
Wissenschaftler der Universität Stuttgart haben für das „Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften“ im Auftrag von acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) umfangreiche empirische Befunde zur Techniksozialisation, Technikbildung und den Einflussfaktoren auf die Studien- und Berufswahl in Deutschland zusammengetragen. Dazu wurden 13.000 Schüler, Studierende sowie Ingenieure und Naturwissenschaftler befragt. Der Erhebung zufolge will nicht einmal die Hälfte der an Technik und Naturwissenschaft interessierten Schüler einen Beruf in diesen Bereichen ergreifen.
Dabei ist das Image der Ingenieurberufe unter den Schülern besser als vielfach angenommen: Ingenieurberufe werden als anstrengend, komplex und lernintensiv eingeschätzt, aber auch als fortschrittlich, praktisch und wichtig für die Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Gleichwohl entsprechen die Eigenschaften, die Schüler technischen Berufen zuschreiben, nicht ihren Vorstellungen eines idealen Berufs. Arbeitsplatzsicherheit, gute Aufstiegschancen, hohes Einkommen, persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und eine vielseitige Tätigkeit sind wichtige Kriterien für die Berufswahl. Die Schüler bezweifeln, dass technische und naturwissenschaftliche Berufe diese Kriterien erfüllen.
„Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Nicht einmal jeder zweite technisch interessierte Schüler wählt eine entsprechende Laufbahn. Dagegen würden 90 Prozent der Ingenieure und Naturwissenschaftler ihren Beruf ein zweites Mal wählen. Mehr als jeder Dritte hat seinen Traumberuf gefunden. Ingenieurberufe bieten also offensichtlich mehr, als junge Menschen in Deutschland annehmen. Diese Botschaft müssen wir in die Schulen tragen und dort die Informationsmöglichkeiten stark verbessern. Nach den Schulen sind die Medien die wichtigste Informationsquelle. Vor allem für Fernsehen und Internet müssen wir es erleichtern, ein Bild jenseits der gängigen und teils falschen Vorstellungen zu vermitteln“, sagte Projektleiter und acatech Präsidiumsmitglied Ortwin Renn.
Abb.: Die Vorstellung der Schülerinnen und Schüler über die Eigenschaften ihrer Idealberufe sind nicht deckungsgleich mit den Eigenschaften, die sie den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Berufen zuschreiben. Weit auseinander liegen die Vorstellungen zur Arbeitsplatzsicherheit, der Vielseitigkeit der Tätigkeit und zu den Ausstiegschancen, Einkommen sowie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier zeigt sich, dass die Vermittlung der realen Berufsbilder und Tätigkeit deutlich verbessert werden muss. (Bild: acatech)
Schüler wissen, dass ein technisches Studium schwierig ist. Doch ihre Erwartungen werden von der erlebten Realität der Studierenden noch übertroffen – im negativen Sinn. Ob Leistungsdruck, Prüfungsstress, Anonymität oder auch Benachteiligungen: All diese negativen Urteile wurden von Studierenden noch stärker bestätigt als von Schülern vorausgesetzt. Das Nachwuchsbarometer bestätigt, dass die Hürde eines Studiums junge Menschen von einer technischen Laufbahn abschreckt.
„Genau hier müssen wir ansetzen“, sagt VDI-Direktor Willi Fuchs. „Zum einen müssen wir schon in der Schule Grundlagen legen, wodurch der Einstieg ins Ingenieurstudium leichter fällt, beispielsweise durch flächendeckenden Technikunterricht. Zum anderen müssen die Bedingungen an den Hochschulen verbessert werden, etwa durch eine bessere didaktische Vermittlung der Inhalte.“
Das Nachwuchsbarometer bestätigt, dass Frauen im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich immer noch spezifische Hürden überwinden müssen: Rund zwei Drittel der befragten Frauen gaben an, nach eigener Einschätzung im Studium hin und wieder benachteiligt und diskriminiert worden zu sein. Ähnliches gilt für stereotype Vorstellungen und Zuschreibungen eigener Kompetenzen. Schülerinnen dominieren beispielsweise die Gruppe der Befragten, die sich für eher technisch unbegabt hält. Bei der Gruppe mit hohem Selbstvertrauen in technischen Fragen kehrt sich das Verhältnis um. Die Studie weist einen starken Zusammenhang zwischen diesen Selbstzuschreibungen und der späteren Berufswahl nach.
Das Nachwuchsbarometer benennt drei Bausteine, die besonders zu einem vertieften Technikinteresse und auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Studien- und Berufswahl beitragen:
- Kinder sollten früh Technik begegnen und in spielerischer Auseinandersetzung kennenlernen.
- Einzelne Schlüsselerlebnisse, in denen Technik als interessant und herausfordernd erlebt wird, sind oftmals der Anstoß zu einer entsprechenden Laufbahn, wenn sie in Elternhaus und Schule weiter gefördert und vertieft werden.
- Wichtig ist auch eine kontinuierliche und didaktisch gut aufbereitete Technikausbildung in der Schule.
Ein Generationenvergleich ergab, dass sich Kinder heute seltener aktiv mit Technik auseinandersetzen und stattdessen digitale Medien konsumieren. Zugleich nehmen sich Eltern heute weniger Zeit, gemeinsam mit ihren Kindern Natur und Technik zu entdecken. Diese Aufgabe müssen Kindergarten und Schule zunehmend übernehmen, die auch dementsprechend ausgestattet und ausgebildet sein sollten. Technikunterricht motiviert der Befragung zufolge am besten zu einer technischen Laufbahn. Wo er nicht flächendeckend eingeführt ist, kann der Physikunterricht noch am ehesten diese Rolle übernehmen – auch wenn Schüler ihn oftmals als praxisfern empfinden.
*********************************************
Das Nachwuchsbarometer ist Teil der „acatech Strategie Techniknachwuchs“. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften macht mit einer Reihe von Initiativen, Veranstaltungen und Forschungsprojekten den besten Stand des Wissens zum Thema verfügbar. Im März hat acatech eine umfassende Strategie zur Förderung des technisch-naturwissenschaftlichen Nachwuchses vorgelegt. Beim Round Table Wissenschaft-Wirtschaft hat acatech Experten mit Wirtschafts- und Medienvertretern zusammengebracht, um das strukturelle Problem Nachwuchsmangel auch in Zeiten einer akuten Wirtschaftskrise auf der Agenda zu halten. Ergänzend erleichtert eine frei zugängliche Datenbank (www.motivation-technik-entdecken.de) die Recherche von derzeit rund 890 Initiativen zum Thema. Sie ist ein Zwischenergebnis der Studie „MoMoTech“ (Monitoring von Motivationskonzepten für den Techniknachwuchs), deren Ergebnisse im Frühjahr 2010 vorgestellt werden. Sie bewertet die bestehenden Initiativen und benennt Erfolgsfaktoren einer nachhaltigen Nachwuchsförderung.
acatech
Weitere Infos
KP