Interstellare Ionen im Speicherring
Messungen in ultrakaltem Speicherring zeigen Besetzung einzelner Rotationszustände unter interstellaren Bedingungen.
Forscher am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) haben erstmals das im Weltraum häufige Molekülion CH+ unter interstellaren Bedingungen im neuen ultrakalten Speicherring (Cryogenic Storage Ring, CSR) untersucht. In diesem Ring lassen sich Umgebungstemperaturen unterhalb von 10 Kelvin realisieren. Gemessen wurde die Aufspaltung von CH+ in C+ und H durch ultraviolettes Licht bei einer Energie nahe der Reaktionsschwelle. Der experimentelle Befund wird durch theoretische Rechnungen sehr gut reproduziert und erlaubt, die zeitabhängige Besetzung der einzelnen Rotationszustände zu ermitteln. Damit wurde das Potential des CSR für kontrollierte Experimente mit kalten Molekülionen erfolgreich demonstriert.
Abb.: Überlagerung des im CSR gespeicherten CH+-Molekülionenstrahls (gelb) mit einem UV-Laser (blau). Die neutralen H-Atome aus der Photodissoziation werden geradeaus mit einem Detektor nachgewiesen. (Bild: MPIK)
Die organische Chemie interstellarer Molekülwolken ist eines der spannendsten Forschungsgebiete der Astronomie, da viele Beobachtungen noch Rätsel aufgeben und die Entstehung des Lebens auf der Erde möglicherweise eng mit der Bildung biologisch relevanter Moleküle im Weltraum verknüpft ist. Diese Prozesse spielen sich viele Lichtjahre entfernt ab und entziehen sich damit einer kontrollierten Untersuchung. Deshalb sind Astrophysiker auf deren theoretische Modellierung angewiesen. Das Bindeglied stellt die Laborastrophysik dar, welche es erlaubt, Reaktionen der vorgefundenen Spezies im Labor unter Weltraumbedingungen nachzustellen. Die so gewonnenen Resultate lassen sich mit den astronomischen Beobachtungen vergleichen und erlauben einen direkten Test der theoretischen Beschreibung.
Zur Untersuchung von kosmischen Molekülionen steht am Heidelberger Max-
Zu den wichtigsten Prozessen in interstellaren Wolken zählen sowohl Kollisionen von Molekülen bzw. Molekülionen untereinander als auch mit freien Elektronen sowie die Wechselwirkung mit ultraviolettem (UV) Licht, das von benachbarten Sternen ausgestrahlt wird. Um diese im Detail zu studieren, ist der CSR mit einer entsprechenden Instrumentierung ausgerüstet. In einer ersten Publikation zu einem CSR-Experiment berichten Physiker der CSR-Kollaboration nun über das Zerbrechen des Molekülions CH+ durch UV-Licht.
CH+ war das erste kosmische Molekülion, das 1941 spektroskopisch identifiziert wurde. Es besteht aus einem Kohlenstoff- und einem Wasserstoffatom, wobei aber ein Elektron fehlt. Das recht häufige Vorkommen von CH+ im diffusen interstellaren Medium ist dabei bis heute rätselhaft: Eigentlich sollte es durch Kollisionen mit Wasserstoff rasch zerstört werden, und es ist unbekannt, wie es in einer so kalten Umgebung effizient neu gebildet wird. Ein Puzzleteil ist die Photodissoziation von CH+, wobei das Molekül nach Absorption eines UV-Lichtquants in ein einfach geladenes Kohlenstoffion und ein neutrales Wasserstoffatom aufbricht. Hierzu wird auf einer geraden Strecke im Speicherring der Ionenstrahl in spitzem Winkel mit einem UV-Laserstrahl überlagert. Zum Nachweis dienen die in der Reaktion freigesetzten H-Atome. In der nächsten Kurve des Rings, wo die Ionen elektrisch abgelenkt werden, fliegen sie geradeaus auf einen Detektor. „Wir haben die Zahl der H-Atome in Abhängigkeit von der Energie des UV-Lichts und der Speicherzeit gemessen“, erläutert Aodh O'Connor, Postdoc in der ASTROLAB-
Unterstützt wurde die Auswertung durch theoretische Rechnungen zur Photodissoziation nahe der Schwelle, die Ulrich Hechtfischer durchführte. Die Wahrscheinlichkeit für den photochemischen Aufbruch ist hier bei bestimmten Energien durch Resonanzen deutlich erhöht und hängt empfindlich von der Struktur der Elektronenhülle des Moleküls ab. Die Rechnungen wurden für die einzelnen Rotationszustände durchgeführt und stimmen mit den experimentellen Resultaten sehr gut überein. Dies erlaubt nicht nur, den Kühlvorgang des Moleküls zu verfolgen, sondern liefert auch ein besseres Verständnis der Struktur von CH+. Dies kann relevant sein für verbesserte Rechnungen zum umgekehrten Prozess der radiativen Assoziation von C+ und H zu CH+ und Aussendung eines UV-Quants – ein möglicher Mechanismus zur Bildung von CH+ bei interstellaren Temperaturen.
„Unser Experiment zeigt, dass sich mit dem CSR molekulare Reaktionen unter Weltraumbedingungen untersuchen lassen“, sagt Holger Kreckel mit Blick auf das Potential dieses neuen Großgeräts für zukünftige Studien. Hierzu zählt der Einfang von Elektronen in Mokekülionen, wozu momentan ein neues Elektronentarget in den Ring eingebaut wird. Ein weiteres Thema sind Stöße von geladenen Molekülionen und neutralen Atomen. Diese spielen eine große Rolle in der interstellaren Chemie, sind aber experimentell noch wenig untersucht.
MPIK / DE