21.03.2016

Interstellare Ionen im Speicherring

Messungen in ultrakaltem Speicherring zeigen Besetzung einzelner Rotationszustände unter interstellaren Bedingungen.

Forscher am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) haben erstmals das im Weltraum häufige Molekülion CH+ unter inter­stellaren Bedingungen im neuen ultra­kalten Speicherring (Cryogenic Storage Ring, CSR) untersucht. In diesem Ring lassen sich Umgebungs­temperaturen unterhalb von 10 Kelvin realisieren. Gemessen wurde die Aufspaltung von CH+ in C+ und H durch ultra­violettes Licht bei einer Energie nahe der Reaktions­schwelle. Der experimentelle Befund wird durch theoretische Rechnungen sehr gut reproduziert und erlaubt, die zeit­abhängige Besetzung der einzelnen Rotations­zustände zu ermitteln. Damit wurde das Potential des CSR für kontrollierte Experimente mit kalten Molekül­ionen erfolgreich demonstriert.

Abb.: Überlagerung des im CSR gespeicherten CH+-Molekülionenstrahls (gelb) mit einem UV-Laser (blau). Die neutralen H-Atome aus der Photodissoziation werden geradeaus mit einem Detektor nachgewiesen. (Bild: MPIK)

Die organische Chemie interstellarer Molekülwolken ist eines der spannendsten Forschungs­gebiete der Astronomie, da viele Beobachtungen noch Rätsel aufgeben und die Entstehung des Lebens auf der Erde möglicher­weise eng mit der Bildung biologisch relevanter Moleküle im Weltraum verknüpft ist. Diese Prozesse spielen sich viele Lichtjahre entfernt ab und entziehen sich damit einer kontrollierten Unter­suchung. Deshalb sind Astrophysiker auf deren theoretische Modellierung angewiesen. Das Binde­glied stellt die Labor­astro­physik dar, welche es erlaubt, Reaktionen der vorgefundenen Spezies im Labor unter Weltraum­bedingungen nachzustellen. Die so gewonnenen Resultate lassen sich mit den astronomischen Beobachtungen vergleichen und erlauben einen direkten Test der theoretischen Beschreibung.

Zur Untersuchung von kosmischen Molekülionen steht am Heidel­berger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) seit kurzem der neue ultrakalte Speicherring CSR (Cryogenic Storage Ring) zur Verfügung. Diese weltweit größte Anlage ihrer Art mit einem Umfang von 35 Metern lässt sich auf eine Temperatur von wenigen Grad über den absoluten Nullpunkt abkühlen und im Inneren ein extremes Ultra­hoch­vakuum von weniger als 10–13 Millibar realisieren, das ist um das Zehn-Billiarden­fache geringer als der normale Luftdruck. Damit werden die Bedingungen inter­stellarer Wolken – wie niedrige Temperatur und sehr geringe Dichte – erreicht. Das sehr gute Vakuum ermöglicht es, die Ionen mit geringen Verlusten durch Stöße mit Rest­gas­molekülen über längere Zeit bis zu mehreren Stunden zu speichern.

Zu den wichtigsten Prozessen in interstellaren Wolken zählen sowohl Kollisionen von Molekülen bzw. Molekülionen untereinander als auch mit freien Elektronen sowie die Wechsel­wirkung mit ultra­violettem (UV) Licht, das von benachbarten Sternen ausgestrahlt wird. Um diese im Detail zu studieren, ist der CSR mit einer entsprechenden Instrumentierung ausgerüstet. In einer ersten Publikation zu einem CSR-Experiment berichten Physiker der CSR-Kollaboration nun über das Zerbrechen des Molekülions CH+ durch UV-Licht.

CH+ war das erste kosmische Molekülion, das 1941 spektroskopisch identifiziert wurde. Es besteht aus einem Kohlenstoff- und einem Wasser­stoff­atom, wobei aber ein Elektron fehlt. Das recht häufige Vorkommen von CH+ im diffusen inter­stellaren Medium ist dabei bis heute rätselhaft: Eigentlich sollte es durch Kollisionen mit Wasserstoff rasch zerstört werden, und es ist unbekannt, wie es in einer so kalten Umgebung effizient neu gebildet wird. Ein Puzzleteil ist die Photo­dissoziation von CH+, wobei das Molekül nach Absorption eines UV-Licht­quants in ein einfach geladenes Kohlen­stoff­ion und ein neutrales Wasser­stoff­atom aufbricht. Hierzu wird auf einer geraden Strecke im Speicher­ring der Ionenstrahl in spitzem Winkel mit einem UV-Laserstrahl überlagert. Zum Nachweis dienen die in der Reaktion freigesetzten H-Atome. In der nächsten Kurve des Rings, wo die Ionen elektrisch abgelenkt werden, fliegen sie geradeaus auf einen Detektor. „Wir haben die Zahl der H-Atome in Abhängigkeit von der Energie des UV-Lichts und der Speicher­zeit gemessen“, erläutert Aodh O'Connor, Postdoc in der ASTROLAB-Gruppe um Holger Kreckel am MPIK. „Besonders interessant ist der Bereich der Dissoziations­schwelle, also der minimalen Energie, die zum Aufbruch der chemischen Bindung benötigt wird. Steckt im Molekül noch Rotations­energie, so ist die Schwelle um diesen Betrag abgesenkt, und wir können verfolgen, wie das anfänglich heiße und heftig rotierende CH+ im Ring abkühlt.“ Nach etwa einer Minute Speicher­zeit sind nur noch die beiden niedrigsten Rotations­zustände besetzt und nach vier Minuten rotieren 60 Prozent der Moleküle gar nicht mehr. Dies entspricht einer Temperatur von etwa 20 Grad über dem absoluten Nullpunkt.

Unterstützt wurde die Auswertung durch theoretische Rechnungen zur Photo­dissoziation nahe der Schwelle, die Ulrich Hechtfischer durchführte. Die Wahrscheinlich­keit für den photo­chemischen Aufbruch ist hier bei bestimmten Energien durch Resonanzen deutlich erhöht und hängt empfindlich von der Struktur der Elektronen­hülle des Moleküls ab. Die Rechnungen wurden für die einzelnen Rotations­zustände durchgeführt und stimmen mit den experimentellen Resultaten sehr gut überein. Dies erlaubt nicht nur, den Kühlvorgang des Moleküls zu verfolgen, sondern liefert auch ein besseres Verständnis der Struktur von CH+. Dies kann relevant sein für verbesserte Rechnungen zum umgekehrten Prozess der radiativen Assoziation von C+ und H zu CH+ und Aussendung eines UV-Quants – ein möglicher Mechanismus zur Bildung von CH+ bei interstellaren Temperaturen.

„Unser Experiment zeigt, dass sich mit dem CSR molekulare Reaktionen unter Weltraumbedingungen untersuchen lassen“, sagt Holger Kreckel mit Blick auf das Potential dieses neuen Großgeräts für zukünftige Studien. Hierzu zählt der Einfang von Elektronen in Mokekülionen, wozu momentan ein neues Elektronen­target in den Ring eingebaut wird. Ein weiteres Thema sind Stöße von geladenen Molekülionen und neutralen Atomen. Diese spielen eine große Rolle in der interstellaren Chemie, sind aber experimentell noch wenig untersucht.

MPIK / DE

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