Jagd nach kosmischem Teilchenbeschleuniger
Eine neuartige Beobachtungstechnik namens Integralfeldspektroskopie gibt Hinweise auf Vorläuferteilchen für die Kosmische Strahlung.
Fast genau hundert Jahre ist es her, dass Victor Hess die vorwiegend aus Protonen bestehende kosmische Teilchenstrahlung entdeckte, die aus den Tiefen des Weltraums auf die Erde trifft. Die energiereichsten Teilchen dabei stammen von außerhalb unseres Sonnensystems, und für einige davon wiederum werden als Quelle Supernovaüberreste angenommen.
Abb.: Kombinationsbild des Supernovaüberrests SN 1006 bei verschiedenen Wellenlängen: Radiowellen (rot), Röntgen (blau) und sichtbares Licht (gelb, orange, hellblau).
Der von Nikoli und Kollegen näher untersuchte Abschnitt der Schockfront befindet sich in dem eingezeichneten grünen Rechteck. (Bild: NASA/CXC/Rutgers/G.Cassam-Chenaï, J.Hughes et al.NRAO/AUI/NSF/GBT/VLA/Dyer, Maddalena & Cornwell, Middlebury College/F.Winkler, NOAO/AURA/NSF/CTIO Schmidt & DSS)
Bei Sternexplosionen werden große Teile der Sternatmosphäre oder gleich die gesamte Sternmaterie nach außen geschleudert und bilden einen Supernovaüberrest, der sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdehnt. Wo das herausgeschleuderte Material auf die umgebende interstellare Materie trifft, bilden sich Schockwellen aus – Regionen, in denen sich Dichte und Temperatur abrupt ändern, ähnlich den Schockwellen des Überschnallknalls, wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht.
Die expandierenden, hochenergetischen Schockwellen sind naheliegende Kandidaten für kosmische Teilchenbeschleuniger, die hochenergetische Teilchenstrahlung produzieren. Jetzt haben Forscher um die serbische Astronomin Sladjana Nikoli (Max-Planck-Institut für Astronomie) erstmals Hinweise darauf gefunden, dass in den Schockregionen in der Tat Protonen beschleunigt werden. Bei diesen Protonen handelt es sich noch nicht um die kosmische Teilchenstrahlung selbst, sondern um Vorläuferteilchen (seed particles), die anschließend durch Wechselwirkung mit der Schockfront auf die erforderlichen hohen Energien beschleunigt werden und als Teilchenstrahlung hinaus in den Raum fliegen können.
Nikoli erklärt: „Dies ist das erste Mal, das wir die physikalischen Prozesse in und um die Schockregion genauer untersuchen konnten. Wir haben dabei Hinweise auf die Existenz einer erwärmten Region direkt vor der Schockwelle gefunden, wie sie den gängigen Modellen nach notwendig ist, damit überhaupt kosmische Teilchenstrahlung entstehen kann. Außerdem wurde diese Region offenbar auf genau jene Weise erwärmt, wie man es erwarten würde, wenn dort Protonen existieren, welche die Energie aus direkt hinter der Schockfront gelegenen Regionen in die Bereiche direkt vor dem Schock transportieren.“
Abb.: Nahaufnahme eines Teils der Schockfront des Supernovaüberrests SN 1006, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Gezeigt ist charakteristisches Licht (H-alpha), das von Wasserstoffatomen ausgesandt wird. Der von Nikoli et al. untersuchte Bereich ist als Kästchen eingezeichnet. (Bild: NASA, ESA und das Hubble Heritage Team STScI/AURA)
Die Untersuchung basiert auf Analysen, die Nikoli als Teil ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Heidelberg durchführte. Entscheidend für die neuen Ergebnisse war, dass Nikoli und ihre Kollegen eine neuartige Beobachtungstechnik namens Integralfeldspektroskopie (integral field spectroscopy) einsetzten. Diese Technik erlaubt es, die Zusammensetzung des Lichts für eine Vielzahl verschiedener Bildpunkte im Bildfeld des Teleskops gleichzeitig zu bestimmen. Sie wurde hier zum ersten Mal auf einen Supernovaüberrest angewandt.
Nikoli und ihre Kollegen nutzten den Spektrografen VIMOS am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile, um für mehr als 100 Punkte in einem kleinen Teilbereich der Schockfront der Supernova SN1006 gleichzeitig das Spektrum zu bestimmen. Die rund anderthalbjährige Analyse der Daten ergab detaillierte Informationen insbesondere über die Temperaturen vor und hinter der Schockfront.
Kevin Heng von der Universität Bern, Co-Betreuer von Nikolis Doktorarbeit, sagt: „Wir sind besonders stolz darauf, dass wir die Integralfeldspektroskopie in eher unorthodoxer Weise eingesetzt haben – üblicherweise beobachtet man damit weit entfernte Galaxien. Die Genauigkeit, die wir dabei erreicht haben, stellt alle vorangehenden Studien in den Schatten.
Wichtig sind die jetzt veröffentlichten Ergebnisse auch als Wegbereiter für zukünftige Untersuchungen. Nikoli erklärt: „Das hier war ein Pilotprojekt. Das Licht, das wir von dem Supernovaüberrest auffangen, ist ungleich schwächer als bei den üblichen Zielobjekten für solche Instrumente. Jetzt, wo wir wissen, was machbar ist, sind eine Vielzahl interessanter Nachfolgeprojekte in den Bereich des Möglichen gerückt.“ Glenn van de Ven vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Nikolis Doktorvater, fügt hinzu: „Diese neuartige Beobachtungstechnik könnte sich als Schlüssel erweisen, um herauszufinden, wie Supernovaüberreste kosmische Teilchenstrahlung erzeugen.“
MPIA / PH