Kalt und kontrolliert
Ultrakalte zweiatomige Moleküle mit magnetischen Eigenschaften präpariert.
Physiker der TU Graz haben eine neue Molekülklasse erschlossen: Erstmals konnten sie das Molekül RbSr experimentell mittels suprakalter Heliumnanotröpfchen aus Rubidium- und Strontiumatomen hergestellen. Dies markiert einen wesentlichen Fortschritt in der ultrakalten Molekülphysik nahe dem absoluten Nullpunkt und erweitert die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung mittels Quantentechnologie.
Die Erzeugung von atomaren Quantengasen hat in den vergangenen 19 Jahren eine Revolution in der Atomphysik ausgelöst. Quantengase bestehen aus extrem gekühlten Atomen, die auf Grund ihrer Wellennatur in einen neuen Materiezustand übergehen. „Derart gekühlt haben die Atome gänzlich veränderte Eigenschaften. Ihre thermische Bewegung kommt fast zum Stillstand, sie haben ‚Wellencharakter‘ und ‚verschmieren‘ zu einem neuartigen Kollektiv. Das hat von Quantensimulationen bis zu hochpräzisen Messinstrumenten eine Reihe neuer Möglichkeiten mit sich gebracht“, erklärt Wolfgang Ernst vom Institut für Experimentalphysik der TU Graz. Rasch war klar, dass Experimente an zumindest zweiatomigen Molekülen breitere Perspektiven eröffnen würden als dies mit einzelnen Atomen der Fall ist. Unklar blieb zunächst: Eignen sich Moleküle für diese extreme Kühlung und wenn ja, welche Kühlungsmethode ist am wirksamsten?
Als Erfolgsstrategie hat sich die Herstellung ultrakalter Moleküle aus zuvor bereits separat gekühlten Atomen erwiesen. Inzwischen gelingt es Forschergruppen in der ganzen Welt, ultrakalte zweiatomige Moleküle aus verschiedenen Alkalimetallatomen zu erzeugen. Die ultrakalten Moleküle lassen sich über das elektrische Dipolmoment, das alle aus unterschiedlichen Atomen zusammengesetzten, zweiatomigen Moleküle besitzen, gezielt adressieren und können somit eine gewünschte Reihe von Reaktionen auslösen. Noch mehr Steuerungsmöglichkeiten gäbe es allerdings, wenn sich die Moleküle nicht nur via elektrisches Dipolmoment, sondern auch magnetisch kontrollieren ließen.
Ein solches Molekül galt es herzustellen und zu untersuchen – eine Herausforderung, der sich das Forscherteam der TU Graz erfolgreich gestellt hat. „Zweiatomige Moleküle aus einem Alkalimetallatom und einem Erdalkaliatom, beispielsweise die Paarung von Rubidium und Strontium, haben die gewünschten Eigenschaften. Da dieses Molekül namens RbSr bislang experimentell nicht hergestellt werden konnte, war die Forschung ausschließlich auf theoretische Berechnungen angewiesen“, so Ernst. Mit seinem Team hat er dennoch einen Weg gefunden und einzelne Rubidium- und Strontiumatome auf kalten supraflüssigen Heliumnanotröpfchen isoliert. „Ganz auf sich alleine gestellt, finden die Atome in einer solchen Umgebung unweigerlich zueinander“, so der Physiker.
Diese neue Molekülklasse wurde von den Forschern der TU Graz anschließend mit verschiedenen Laseruntersuchungen vermessen; parallel dazu führten sie quantenmechanische Berechnungen durch. Sie konnten dadurch verschiedene elektronische Zustände des neuen Moleküls zuordnen und Details über die innermolekularen Wechselwirkungen ermitteln. „Beides wird helfen, die Moleküle auch in ultrakalten Atomgemischen in einer magneto-optischen Falle zu erzeugen und damit Quanteninformationstechnologien noch ein Stück weiter zu bringen“, so Wolfgang Ernst. Für dieses Folgeprojekt kooperieren die Forscher der TU Graz mit einer Physikergruppe der Universität Amsterdam.
TU Graz / DE