02.09.2011

Kosmische Kollision in "Pandoras Galaxienhaufen"

Internationales Forscherteam untersucht Galaxien, intergalaktisches Gas und Dunkle Materie des entfernten Galaxienhaufens Abell 2744.

Die größte bisher bekannte kosmische Kollision des Universums hat sich in einem entfernten Galaxienhaufen mit dem Namen Abell 2744 abgespielt. Das hat ein internationales Team von Wissenschaftlern herausgefunden, als es die Trümmer dieses Zusammenpralls untersucht hat. Zum Einsatz kamen Forschungsmethoden, die am Institut für Theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg entwickelt wurden. Mit ihnen war es möglich, den Ablauf über einen Zeitraum von einigen hundert Millionen Jahren nachzustellen und damit zu verstehen, wie sich großräumige Strukturen im Universum entwickeln. Dabei treten verschiedene Arten von Materie miteinander in Wechselwirkung.

Abb.: Die Aufnahme zeigt den Galaxienhaufen Abell 2744. Die Abbildung kombiniert Beobachtungen im sichtbaren Licht mit den rötlich dargestellten Beobachtungen des Röntgensatelliten Chandra und den bläulich eingefärbten Wolken Dunkler Materie.
(Bild: Nasa / Esa / Eso / CXC / J. Merten)

Die Wissenschaftler haben den Galaxienhaufen Abell 2744 mit Hochleistungs-Teleskopen beobachtet. Dazu wurden unter anderem das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (Eso) in Chile, das Japanese Subaru Telescope auf Hawaii sowie die Weltraumteleskope Hubble und Chandra genutzt. Mit den bei diesen Beobachtungen gewonnenen Daten konnte das Forscherteam unter Federführung des Heidelberger Astrophysikers Julian Merten drei wesentliche Komponenten von Galaxienhaufen – Galaxien und ihre Sterne, intergalaktisches Gas sowie Dunkle Materie – untersuchen.

Jede einzelne der insgesamt etwa 1.000 Galaxien von Abell 2744 enthält viele Milliarden Sterne. Dennoch macht diese sichtbare Materie nur etwa fünf Prozent der gesamten Masse des Galaxienhaufens aus. Die Galaxien "schwimmen" in einem diffus zwischen ihnen verteilten Gas. Dieses intergalaktische Gas, das zu 20 Prozent der Gesamtmasse beiträgt, wurde durch die Wirkung der Gravitationskräfte im Galaxienhaufen derart aufgeheizt, dass es vor allem Röntgenstrahlen aussendet, berichten die Forscher. Die übrigen 75 Prozent, und damit der größte Teil der Masse des Galaxienhaufens, besteht aus der "Dunklen Materie".

Um nun die Vorgänge in Abell 2744 zu verstehen, haben die Forscher versucht, die Verteilung dieser drei Bestandteile möglichst genau zu bestimmen. Während eine solche Bestimmung für Galaxien und das intergalaktische Gas relativ leicht gelingt, ist dies im Fall der Dunklen Materie wesentlich schwieriger. Sie sendet kein Licht aus, sondern macht sich nur durch ihre Anziehungskraft bemerkbar. Mithilfe des Gravitationslinseneffekts konnten die Wissenschaftler die Verteilung der Dunklen Materie dennoch messen.

Von Bedeutung sind dabei Lichtstrahlen, die von weit hinter Abell 2744 liegenden Galaxien ausgesandt werden. Wenn sie den Galaxienhaufen durchkreuzen, treten sie mit der Anziehungskraft der ungleichmäßig verteilten Dunklen Materie in Wechselwirkung. Die Lichtstrahlen werden dabei unterschiedlich stark abgelenkt, so dass die Bilder der Hintergrundgalaxien auf charakteristische Weise verzerrt erscheinen. Daraus ließ sich eine Art Landkarte der Verteilung Dunkler Materie erstellen.

Nach dem Ergebnis der Analyse von Abell 2744 handelt es sich dabei um ein System aus mindestens vier einzelnen Galaxienhaufen, die über einen Zeitraum von etwa 350 Millionen Jahren aufeinander geprallt sein müssen. Dabei hat der Zusammenprall, der offenbar das heiße Gas und die Dunkle Materie voneinander getrennt hat, zu einer ungewöhnlichen Verteilung der drei Materiearten geführt, wie die Forscher betonen. So fanden sie zum Beispiel im Nordwesten ein Gebiet, in dem die Dunkle Materie auf ungewöhnliche Art und Weise von den anderen Komponenten getrennt wurde. Das heiße Gas eilt in großem Abstand der Dunklen Materie voraus, und auch die Galaxien scheinen nicht mit der Position der Dunklen Materie überein zu stimmen. Im Westen lässt sich ein Bereich ausmachen, der zwar Dunkle Materie und zugehörige Galaxien enthält, aber keinerlei heißes Gas. "Es scheint so, dass dieses Gas bei der Kollision komplett im Zentralbereich des Haufens abgestreift und dort zurückgelassen wurde", sagt Julian Merten von der Universität Heidelberg. Wegen der Vielzahl ungewöhnlicher Phänomene haben die Forscher den Galaxienhaufen Abell 2744 "Pandoras Galaxienhaufen" getauft.

ZAH / PH

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