17.07.2013

Lädiert, aber entwischt

Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße reißt Gaswolke in Stücke.

Neue Beobachtungen mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO zeigen erstmals, wie das supermassereiche schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße eine Gaswolke zerreißt. Die Wolke ist mittlerweile stark auseinandergezogen: Ihr vorderer Teil hat den Punkt der größten Annäherung bereits passiert und entfernt sich wieder mit mehr als zehn Millionen Kilometern pro Stunde, während der hintere Teil der Wolke weiterhin auf darauf zu fällt.

Abb.: Zu sehen sind VLT-Daten aus den Jahren 2006, 2010 und 2013, jeweils blau, grün und rot eingefärbt. Aufgrund der großen Entfernung der Wolke und der Neigung ihrer Umlaufbahn kann man aus dem Bild nur die Position, nicht aber die Form der Wolke ableiten. Die Dehnung der Wolke ergibt sich anhand der Geschwindigkeiten, aus denen folgt, an welcher Stelle der Umlaufbahn sich die einzelnen Teilbereiche der Wolke befinden. (Bild: ESO / S. Gillessen, MPE)

Im Jahr 2011 entdeckte das VLT eine Gaswolke mit einer Masse, die mehreren Erdmassen entspricht, und die sich in Richtung auf das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße beschleunigte. Zur Zeit befindet sich diese Wolke im Punkt ihrer größten Annäherung, und neue Beobachtungen zeigen, wie sie im starken Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs deutlich in die Länge gezogen wird.

„Das Gas im vorderen Teil der Wolke ist mittlerweile über mehr als 160 Milliarden Kilometer um den Punkt der größten Annäherung auf der Umlaufbahn der Wolke um das schwarze Loch verteilt. Der minimale Abstand beträgt nur 25 Milliarden Kilometer – die Wolke schafft es damit gerade eben so, nicht direkt in das schwarze Loch hineinzufallen“, erläutert Stefan Gillessen vom MPI für Extraterrestrische Physik in Garching, der das Beobachterteam leitet. „Die Wolke ist inzwischen so langgestreckt, dass ihre Passage nicht einfach nur ein kurzes Ereignis ist, sondern ein langwieriger Prozess, der mindestens ein Jahr lang andauern wird.“

Durch die Dehnung wird die Wolke schwächer und schwieriger zu beobachten. Mit einer Belichtungszeit von mehr als zwanzig Stunden mit dem SINFONI-Instrument am VLT – der längsten jemals durchgeführten Beobachtung dieser Himmelsregion mit einem Integralfeldspektrometer überhaupt – konnte das Wissenschaftlerteam aber dennoch die Geschwindigkeiten der verschiedenen Teile der Wolke in unmittelbarer Nähe des schwarzen Loches messen.

„Das Aufregende an den neuen Messungen ist, dass wir derzeit den vorderen Teil der Wolke schon wieder auf uns zukommen sehen – und das mit einer Bahngeschwindigkeit von mehr als zehn Millionen Kilometern pro Stunde, also etwa ein Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Das bedeutet, dass dieser Teil der Wolke den Punkt der größten Annäherung an das Schwarze Loch bereits passiert hat", ergänzt Reinhard Genzel, dessen Arbeitsgruppe das Zentrum der Milchstraße nun seit mittlerweile zwanzig Jahren untersucht.

Der Ursprung der Gaswolke ist nach wie vor ungeklärt, an möglichen Erklärungsansätzen herrscht allerdings kein Mangel. Die neuen Beobachtungen tragen daher auch dazu bei, die Möglichkeiten einzugrenzen. „Man kann genau sehen, wie die Wolke regelrecht zu Spaghetti wird“, so Gillessen. „Für die Wolke bedeutet das, dass sie wahrscheinlich keine Sterne enthält. Wir gehen aber derzeit davon aus, dass sie von den Sternen stammt, die das Schwarze Loch umkreisen."

Abb.: Die horizontale Achse dieser Animation zeigt die Ausdehnung der Wolke entlang ihrer Umlaufbahn, während die vertikale Achse die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Wolke darstellt. Die Wolke ist mittlerweile (Stand 2013) stark auseinander gezogen und die Geschwindigkeit des vorderen Teils unterscheidet sich um mehrere Millionen km/h von der des hinteren Teils. (Bild: ESO / S. Gillessen / pro-physik.de)

Astronomen weltweit verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die gerade stattfindende Hochphase dieser einzigartigen kosmischen Begegnung im Zentrum unserer Milchstraße. Die ausgedehnte Beobachtungskampagne wird einen wahren Datenschatz liefern, der nicht nur weitere Details über die Gaswolke selber aufdecken wird, sondern auch die unmittelbare Umgebung des schwarzen Lochs näher beleuchten und die Auswirkungen extrem starker Gravitationsfelder untersuchen soll.

ESO / DE

Weitere Infos

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen