Physikalische Signale bestimmen das Schicksal von Zellen
Wie mechanische Kräfte Zellen aus Geweben extrudieren.
Epithelgewebe stehen in ständiger Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Um ihre Funktionalität aufrechtzuerhalten, ist ein dynamisches Gleichgewicht erforderlich. Dabei muss die Anzahl ihrer Zellen streng reguliert werden. Das wird durch Zellextrusionsprogramme erreicht, einen Kontrollmechanismus, der unerwünschte oder schädliche Zellen eliminiert. Forscher des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin, des Instituts Jacques Monod in Frankreich und des Niels-Bohr-Instituts in Dänemark haben jetzt nachgewiesen, wie physikalische Signale das Schicksal von extrudierenden Zellen beeinflussen und über deren Tod oder Überleben entscheiden. Die Ergebnisse eröffnen neue Wege für das Verständnis von Gewebeeigenschaften unter normalen und pathologischen Bedingungen.
Epithelien sind dynamisch und müssen sich permanent mit der Zellerneuerung auseinandersetzen. Daher werden regelmäßig Zellen aus einem Gewebe entfernt, was als apoptotische Extrusion bezeichnet wird. Ihr Gleichgewicht ist für die Epithel-Homöostase von entscheidender Bedeutung. Neben dieser Rolle bei der Gewebe-Homöostase ist die Zellextrusion eine Hauptursache für Veränderungen der Gewebestruktur und das Fortschreiten von Tumoren. Dabei bestimmen Extrusionsmechanismen das Schicksal der Zellen: Je nachdem, ob die Zellen tot oder lebendig entfernt werden, können grundlegend unterschiedliche biologische Konsequenzen folgen.
Das ist sowohl für Entwicklungsprozesse während der Gewebe- oder Organbildung von besonderer Bedeutung als auch für die Entstehung von Krankheiten wie Krebs. Trotz der enormen Bedeutung der Zellextrusion in der Entwicklung und bei der Alterung sowie ihrer pathologischen Auswirkung, waren die Faktoren, die das Schicksal einer extrudierten Zelle bestimmen, bisher kaum verstanden.
Innerhalb von Epithelmonoschichten üben Zellen Kräfte auf ihre benachbarten Zellen aus, was zu einer Zellablösung und anschließender Eliminierung führen kann. Während die Extrusion toter Zellen für das Entfernen ungeeigneter oder unerwünschter Zellen unerlässlich ist, spielt die Extrusion lebender Zellen einerseits eine Schlüsselrolle in Entwicklungsprozessen und ist andererseits oftmals mit pathologischen Reaktionen verbunden. Das Team geht davon aus, dass die physikalischen Kräfte innerhalb der Epithelzellen beeinflussen, wie sie extrudiert werden, und so ihr endgültiges Schicksal bestimmen.
Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Intensität und Dauer der angewandten Kraft dafür ausschlaggebend sind, ob Zellen tot oder lebendig ausgestoßen werden. Diese physikalischen Signale werden durch die Stärke der interzellulären Kontakte bestimmt, die E-Cadherin-Verbindungen. Darüber hinaus zeigten sie, dass Zellen entweder apikal extrudiert werden oder basal in das Gewebe, wiederum in Abhängigkeit von mechanischen interzellulären Kräften. Die Forscher berichteten außerdem, dass ähnlich wie bei der Zellinvasion lebend eliminierte Zellen signifikant häufiger mit einer Extrusion in Richtung des basalen Teils in Verbindung gebracht werden können.
Das Team kombinierte die physikalische Modellierung dreidimensionaler Zellverbände mit Experimenten, bei denen Zellen unterschiedliche Mengen spezifischer Proteine exprimierten. Diese Proteine verbinden Zellen und dienen als Mechanosensoren, welche Zell-Zell-Interaktionen regulieren. In einem kooperativen Forschungsansatz konnten die Wissenschaftler zeigen, dass eine veränderte Kraftübertragung über Zell-Zell-Verbindungen den apoptotischen Zelltod während der Extrusion verändert. Sie konnten auch nachweisen, dass die veränderte Kraftübertragung eine Verlagerung des Extrusionsmodus von der apikalen zur basalen Seite fördert und damit das Schicksal der extrudierten Zellen beeinflusst.
„Unsere Arbeit zeigt, dass die verschiedenen Arten der Zellextrusionsprozesse auf Veränderungen bei der Erzeugung, Ausübung und Übertragung mechanischer Kräfte innerhalb des Gewebes zurückzuführen sind, die zu Veränderungen auf Gen- und Proteinebene führen“, sagt Benoît Ladoux vom MPZPM. „Daher ist die durch Zell-Zell-Kommunikation regulierte interzelluläre Kraftübertragung von entscheidender Bedeutung für Zellextrusionsmechanismen mit potenziellen Auswirkungen auf die Morphogenese und die Invasion von Krebszellen.“
Die Arbeit zeigt außerdem, wie wichtig die Fähigkeit epithelialer Gewebe für die Regulation der Kraftübertragung ist, miteinander über adhärente Zellkontakte interagieren zu können. Das kann dazu beitragen, die Rolle von adhärenten Zellkontakten in verschiedenen Arten von Krebsgeweben besser zu verstehen.
MPZPM / RK