Post von Schrödinger
Erstmals erscheint eine umfangreiche Auswahl des Briefwechsels von Erwin Schrödinger, der vor fünfzig Jahren in seiner Heimatstadt Wien gestorben ist.
„Im Augenblick plagt mich eine neue Atomtheorie. Wenn ich nur mehr Mathematik könnte! Ich bin bei dieser Sache sehr optimistisch und hoffe, wenn ich es nur rechnerisch bewältigen kann, so wird es sehr schön“, schrieb Erwin Schrödinger am 27. Dezember 1925 an seinen Kollegen Wilhelm Wien. Dies ist der erste überlieferte Hinweis in Schrödingers Briefen auf seine Entdeckung der Wellenmechanik, nachzulesen in der ersten umfangreichen Veröffentlichung von Schrödingers Briefwechsel. Dieser ist von Karl von Meyenn unter dem Titel „Eine Entdeckung von ganz außerordentlicher Tragweite“ rechtzeitig zum 50. Todestag von Schrödinger bei Springer erschienen.
Der österreichische Physiker und Nobelpreisträger (1933), der am 12. August 1887 im Wiener Stadtteil Erdberg geboren wurde, ist nicht zuletzt durch die nach ihm benannte grundlegende Gleichung der Quantenmechanik und sein berühmtes Gedankenexperiment mit der Katze auch außerhalb der Physik berühmt. Doch sein Nachlass ist noch zu einem sehr großen Teil unerschlossen. Viele Briefe und Materialien befinden sich im Besitz von Schrödingers Tochter Ruth Braunizer, die in Alpbach bei Innsbruck lebt, wo Schrödinger seine letzten fünf Lebensjahre verbrachte. Weitere Handschriften, Aufzeichnungen und Schrödingers zahlreichen Notizbücher lagern in der Zentralbibliothek für Physik in Wien.
Schrödinger hat – ähnlich wie Albert Einstein – zeit seines Lebens sein Unbehagen gegen die Quantenmechanik nicht ablegen können, an deren Entwicklung er doch so großen Anteil hatte. Immer wieder versuchte er, „den Weg zur klassischen Physik der anschaulich erfaßbaren Vorgänge zurückzufinden.“ So schreibt es Max Born in seinem Nachruf auf Schrödinger in den Physikalischen Blättern (PDF siehe unten). Die inhaltlichen Differenzen über die Interpretation der Quantenmechanik konnte der Freundschaft zwischen Born und Schrödinger jedoch nichts anhaben. Ihre jahrzehntelange Korrespondenz charakterisierte Born mit einer „Mischung von saugrob und zärtlich; schärfster Meinungsaustausch, nie ein Gefühl des Gekränktseins“.
Das und noch viel mehr ist im nun erschienen Briefwechsel nachzulesen, der sich vor allem auf die Themen Wellenmechanik und Katzenparadoxon konzentriert. Doch dem Herausgeber Karl von Meyenn, der auch den umfangreichen Briefwechsel von Wolfgang Pauli herausgeben hat, ist mit „Eine Entdeckung von ganz außerordentlicher Tragweite“ fast eine Biografie in Briefen gelungen, die nicht nur neue Einblicke in Schrödingers Forschung vermittelt, sondern auch über wichtige Lebensstationen und persönliche Begegnungen. Dabei kann man den Größen der Physik des 20. Jahrhunderts bei ihrer täglichen Arbeit wie ihrem Ringen um die neue Physik über die Schulter schauen. Einziger Wermutstropfen dürfte der hohe Preis der zwei Bände sein, so dass diese wohl vor allem den Weg in Bibliotheken finden dürften.
Schrödinger lehnte bis zum Schluss die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik ab, wie sie insbesondere von Niels Bohr und Werner Heisenberg vertreten wurde. An Born schrieb er am 22. März 1954: „Am wichtigsten aber scheint es mir, daß wir alle versuchen, gegenseitig die Schwierigkeiten des Anderen zu verstehen – und zu denken, daß wahrscheinlich doch noch die wirkliche Einsicht fehlt“. Durch den Nachlass von Schrödinger, der sich auch intensiv für Philosophie und Literatur interessierte, dürften sicherlich viele neue Facetten ins Blickfeld rücken. Im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojekts des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin zur Entstehung der Quantenmechanik sollen beispielsweise Schrödingers Forschungsnotizbücher erstmals erschlossen werden.
Alexander Pawlak