16.01.2012

Schärfer als Heisenberg erlaubt

Messungen mit Neutronen an der TU Wien führen zu einem tieferen Verständnis der quantenmechanischen Unschärfe.

Sie ist wohl das berühmteste Fundament der Quantenphysik – Heisenbergs Unschärferelation. Das Naturgesetz besagt, dass man nicht alle Eigenschaften von Quantenteilchen gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit bestimmen kann. Die bisherige Begründung: Eine Messung verändert den Zustand des Quantenteilchens und verfälscht dadurch andere Messungen – doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Neutronen-Experimente von Yuji Hasegawa und seinem Team an der TU Wien konnten nun verschiedene Beiträge zur Quanten-Unsicherheit aufschlüsseln und damit eine Theorie japanischer Kollegen bestätigen: Der Einfluss der Messung auf das Quanten-System ist nicht immer der Grund für die Mess-Unsicherheit. Heisenbergs Argumente für die Quanten-Unschärfe müssen also neu überdacht werden – die Unschärferelation selbst bleibt freilich bestehen.

Abb.: Schematische Darstellung des Neutronen-Experiments zur Untersuchung der Heisenbergschen Unschärferelation. (Bild: TU Wien, Nat. Phys.)


Dass sich in der Quantenphysik bestimmte Größen nicht gleichzeitig messen lassen ist unbestritten. Wie das zu interpretieren ist bleibt allerdings die Frage. „Bis heute hört man oft von Heisenbergs berühmten Gedankenexperiment, in dem die Position eines Elektrons mit Licht gemessen werden soll“, sagt Jacqueline Erhart vom Atominstitut der TU Wien.

Um die Position eines Teilchens sehr genau bestimmen zu können muss man Licht mit sehr kurzer Wellenlänge (also großer Energie) verwenden. Das bedeutet aber auch, dass ein starker Impuls auf das Teilchen übertragen wird. Je genauer man den Ort misst umso dramatischer verändert man den Impuls des Teilchens. Ort und Impuls, so argumentierte Heisenberg, sind daher nicht gleichzeitig exakt messbar.

Dasselbe gilt in der Quantenphysik für viele andere Messgrößen-Paare. Heisenberg war der Meinung, dass in solchen Fällen eine genauere Messung der einen Messgröße immer eine Störung der zweiten Messgröße verursacht. Das Produkt aus Ungenauigkeit der ersten Messung und Störung der zweiten Messung, so meinte er, kann eine gewisse Grenze nicht unterschreiten.

Dass eine Messung das Quantensystem stört und damit das Ergebnis einer zweiten Messung verfälscht ist aber womöglich gar nicht der Kern des Problems. „Solche Störungen gibt es schließlich auch in der klassischen Physik, das hat mit Quantentheorie zunächst noch nichts zu tun“, erläutert Stephan Sponar (TU Wien). Die Unsicherheit liegt in der Quantennatur des Teilchens selbst: Schon lange weiß man, dass man sich in der Quantenphysik ein Teilchen eben nicht mehr als punktförmiges Objekt vorstellen kann, das eine eindeutig bestimmte Geschwindigkeit und eine klare Bewegungsrichtung hat. Stattdessen verhält sich ein Teilchen wie eine Welle – und bei Wellen lassen sich Aufenthaltsort und Impuls nicht gleichzeitig beliebig genau definieren. Man könnte sagen: Das Teilchen „weiß“ selbst nicht, wo es sich genau befindet und wie schnell es ist – ganz unabhängig davon, ob es gemessen wird oder nicht.

Um diese prinzipielle Unbestimmtheit und die zusätzliche Störung durch einen Messvorgang korrekt zu beschreiben, kommt man nicht umhin, das Teilchen gemeinsam mit dem Messapparat im quantenmechanischen Formalismus zu beschreiben. Genau das gelang dem japanischen Physiker Masanao Ozawa 2003. Eine verallgemeinerte Unschärferelation war die Folge: In seinen Gleichungen steckten unterschiedliche „Sorten“ von Unschärfe: Einerseits die Unsicherheit, die durch die Messung entsteht, weil sie in den Zustand des Systems eingreift und damit die andere Messung verfälscht. Das ist die Unsicherheit von Heisenbergs Ort-Impuls-Beispiel. Andererseits beinhalten die Gleichungen auch die grundlegende Quanten-Unsicherheit, die unabhängig von der Messung in jedem Quanten-System vorhanden ist.

Durch ein ausgeklügeltes Experiment-Design konnten die unterschiedlichen Beiträge am Atominstitut der TU Wien nun gemessen und voneinander unterschieden werden. Dabei wurden nicht Ort und Impuls eines Teilchens untersucht, sondern die Spins von Neutronen. Der Spin in X-Richtung und der Spin in Y-Richtung kann nicht gleichzeitig genau gemessen werden – sie erfüllen eine Unschärferelation, ähnlich wie Ort und Impuls. Durch magnetische Felder wurde der Spin der Neutronen aus dem Reaktor des Atominstituts in die eine bestimmte räumliche Orientierung gebracht, ihr Spin wurde in zwei aufeinander folgenden Messungen ermittelt. Durch kontrollierte Manipulationen des Messapparats konnte statistisch ermittelt werden, wie die unterschiedlichen Quellen der Unschärfe miteinander zusammenhängen.

„Nach wie vor gilt: Je exakter, die erste Messung durchgeführt wird, desto stärker wird die zweite Messung gestört – doch kann das Produkt aus Ungenauigkeit und Störung beliebig klein gemacht werden, auch kleiner, als Heisenbergs ursprüngliche Formulierung der Unschärferelation erlaubt“, sagt Yuji Hasegawa. Doch auch wenn sich die Messungen kaum beeinflussen - unscharf bleibt die Quantenphysik trotzdem: „Die Unschärferelation ist natürlich nach wie vor richtig“, versichert das Forschungsteam. Man sollte nur mit seiner Begründung vorsichtig sein: „Die Unschärfe kommt nicht vom störenden Einfluss der Messung auf das Quanten-Objekt, sondern von der Quanten-Natur der Teilchen selbst.“

TU Wien / PH

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