Schalenmodell bei Berylliumisotopen ungültig
Kernphysiker vermessen Ladungsradius des Leichtmetall-Isotops Beryllium-12 mit Lasern und theoretischen Berechnungen – die „Magie“ ist verflogen.
Einer Gruppe von Wissenschaftlern um Wilfried Nörtershäuser vom Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist es erstmals gelungen, die Größe der Ladungsverteilung eines Atomkerns des exotischen Isotops Beryllium-12 zu vermessen. Es zeigte sich, dass dieser „Ladungsradius“ gegenüber dem Isotop Beryllium-11 ansteigt, während der Radius der Materieverteilung abnimmt. Dies widerspricht den Annahmen der Kernphysik über den Aufbau von Atomkernen. Demnach wäre nämlich eine Verringerung des Kernladungsradius zu erwarten gewesen. „Unsere Messungen widersprechen der Vorhersage des Schalenmodells und sind ein deutlicher Beleg dafür, dass bei Berylliumisotopen die Zahl von 8 Neutronen nicht mehr magisch ist“, sagt Andreas Krieger, Erstautor der Studie.
Abb.: Tanz der Nukleonen: Der Kern von Beryllium-12 kann als ein Konglomerat zweier Helium-4-Kerne mit vier zusätzlichen Neutronen verstanden werden. Das Schalenmodell sagt für die magische Neutronenzahl N=8 einen Kern voraus, in dem sich alle 4 Neutronen zwischen den Helium-4-Kernen befinden (links). Die experimentellen Messdaten deuten jedoch darauf hin, dass sich zwei dieser Neutronen außerhalb der Helium-4-Kerne befinden. (Bild: Institut f. Kernchemie, JGU)
Atomkerne bestehen aus Nukleonen: den positiv geladenen Protonen und ungeladenen Neutronen. Die Zahl der Protonen legt fest, um welches Element es sich handelt. So ist ein Kern mit 4 Protonen immer ein Kern des Elements Beryllium. Die Zahl der Neutronen kann variieren, wodurch sich die verschiedenen Isotope eines Elements bilden. Im Falle von Beryllium, einem Leichtmetall, ist nur das Isotop Beryllium-9 mit einer Gesamtzahl von 9 Nukleonen, also 4 Protonen und 5 Neutronen, stabil. Alle anderen Isotope zerfallen nach einer bestimmten Zeit. Insgesamt existieren auf der Erde etwa 500 stabile Isotope, darüber hinaus wurden etwa 2500 radioaktive Isotope in verschiedenen „Isotopenfabriken“ weltweit produziert und untersucht. Die systematische Untersuchung von Atomkernen führte zu der Entdeckung, dass Kerne mit einer bestimmten Anzahl an Protonen oder Neutronen besonders stabil sind. Dies tritt bei den als „magisch“ bezeichneten Neutronen- oder Protonenzahlen 2, 8, 20, 28, 50, 82 und 126 auf.
2008 hat die Gruppe um Wilfried Nörtershäuser den Kernladungsradius – also den Radius einer gedachten Kugel um den Bereich, in dem die Protonen des Kerns konzentriert sind – des Isotops Beryllium-11 durch eine Präzisionsmessung mit Lasern erfolgreich gemessen. Die Wissenschaftler konnten damals zeigen, dass sich das sehr schwach gebundene siebte Neutron in Beryllium-11 im Mittel sehr weit von dem restlichen Beryllium-10-Rumpfkern entfernt aufhält und ihn wie ein „Halo“ umgibt. Der Rumpfkern wird – im mechanischen Modell – auf eine Kreisbahn gezwungen, die dazu führt, dass seine Ladung über einen größeren Raumbereich „ausgeschmiert“ wird und der Ladungsradius deshalb ansteigt.
Danach rückte der Kern des Isotops Beryllium-12 in das Interesse der Forscher. Für die Untersuchungen musste die laserspektroskopische Methode allerdings um das Tausendfache empfindlicher gemacht werden, weil das Isotop an der Isotopenfabrik ISOLDE/CERN nur mit geringer Produktionsrate erzeugt werden kann. Überdies existiert das Teilchen kürzer, als ein Lidschlag dauert: Nach nur 20-tausendstel Sekunden ist die Hälfte der produzierten Beryllium-12-Kerne bereits wieder zerfallen.
Unter Einsatz eines hochpräzisen Lasersystems ist es der Nachwuchsgruppe um Nör-tershäuser in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und von der KU Leuven jetzt gelungen, auch den Kernladungsradius dieses sehr exotischen Isotops zu bestimmen. Zur Überraschung der Forscher stellte sich heraus, dass der Kernladungsradius gegenüber dem Halo-Kern bei Beryllium-11 weiter ansteigt obwohl die Neutronen in Beryllium-12 wesentlich stärker gebunden sind. Dies widerspricht der Vorhersage des Schalenmodells, wonach der Ladungsradius hätte abnehmen müssen. „Als Erklärung können wir nur annehmen, dass die Schalen nicht mehr der Reihenfolge nach besetzt werden, dass also die dritte Schale schon mit Neutronen besetzt wird, noch bevor die zweite Schale voll ist“, so Nörtershäuser. Bei den Berylliumisotopen ist die Zahl von 8 Neutronen offenbar nicht mehr magisch.
Dieses Experiment haben die Forscher mit theoretischen Modellrechnungen, die am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung durchgeführt wurden, verglichen. Die Rechnungen können den Verlauf der gemessenen Ladungsradien entlang der Isotopenkette sehr gut reproduzieren.
Weitere Untersuchungen der Kernstruktur, die zu einem besseren Verständnis des Kernaufbaus beitragen sollen, sind sowohl an ISOLDE am CERN als auch am TRIGA-Forschungsreaktor des Instituts für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität in Vorbereitung.
JGU / PH