22.03.2004

Spukende Quanten und tanzende Moleküle

Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft beginnt in München.

Spukende Quanten und tanzende Moleküle

München, 22. März 2004 – Neueste Forschungsergebnisse rund um Quanten, Atome und Moleküle setzen die Schwerpunkte der diesjährigen Haupttagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die vom 22. bis 26. März 2004 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität stattfindet. Darüber hinaus ist das Programm weit gefächert und reicht von der Bio- zur Umweltphysik, von der Strahlen- zur Energieforschung. Gesellschaftspolitische Themen – wie Klimaschutz, Rüstungskontrolle und die Situation der Frauen in der Physik – werden ebenfalls diskutiert. Charakteristisch für die Tagung ist außerdem ihr interdisziplinärer Ansatz, der sich in seinen fachübergreifenden Symposien widerspiegelt. Zum Kongress werden rund 1.400 Forscherinnen und Forscher erwartet. Zu den Gästen aus dem Ausland zählen der US-amerikanische Nobelpreisträger Steven Chu und der Wiener „Quantenbeamer“ Anton Zeilinger, der einen öffentlichen Abendvortrag hält.

QUANTEN, ATOME UND MOLEKüLE: Kupferleitungen und Lichtleiter sind die Adern der Informationsgesellschaft. Aber nicht alles was durch die Kabel saust, ist auch für neugierige Augen oder Ohren bestimmt. Seit jüngster Zeit können Kryptographen jedoch auf Beistand der Quantenphysiker hoffen. Die Quantenverschlüsselung gilt – zumindest theoretisch – als absolut zuverlässig. Dass eine Leitung angezapft wird, kann sie allerdings nicht verhindern. Das Besondere ist vielmehr, dass ein solcher „Lauschangriff“ sofort auffallen würde. Grundlage für diese Form der Datenchiffrierung ist ein Phänomen, das Albert Einstein einst als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete. Erste Systeme, die auf Quantentechnik beruhen, sind inzwischen auf dem Markt (s. http://www.wissenschaft.de/wissen/news/232342.html). Die Quantenkryptographie, ein Aspekt der Quanteninformationstheorie, zählt zu den Schwerpunkten des Münchner Programms.

Mit diesem Forschungsgebiet eng vernetzt sind Quantencomputer, von denen sich Fachleute wahre Rechenwunder erhoffen. Auch wenn es bislang nur erste Bauteile gibt. Der Clou beim Quantenrechnen liegt im Prinzip der Informationsverarbeitung: statt mit üblichen Bits jonglieren Quantencomputer mit Quantenbits, die – geschickt ins Spiel gebracht – enorme Rechenleistungen vollbringen sollen. Wie weit die Wissenschaft tatsächlich ist, beschreibt am 22. März Rainer Blatt (Universität Innsbruck) bei seinem Plenarvortrag „Quantencomputer – Traum und Realisierung“.

Das „Bose-Einstein-Kondensat“ darf auf der Tagung natürlich ebenfalls nicht fehlen. Denn in jüngster Zeit ist rund um die so genannten Quantengase, zu denen auch das Bose-Einstein-Kondensat gehört, einiges in Bewegung geraten. So gelang im Herbst 2003 erstmals die Bose-Einstein-Kondensation von Molekülen – in Österreich und in den USA. Über diesen Durchbruch berichtet am 22. März Markus Bartenstein von der Universität Innsbruck. Im Januar 2004 legten US-Forscher noch einmal nach und feierten mit dem „fermionisches Kondensat“ eine weitere Premiere (s. http://physicsweb.org/article/news/8/1/14).

Quantengase gelten als die kältesten „Objekte“ des Universums. Es sind lichte Teilchenwolken, die im Labor auf unter minus 273 Grad Celsius gekühlt werden. Bei diesen Bedingungen regiert die Quantenphysik das Geschehen: statt wie üblich wild durcheinander zu schwirren, „marschieren“ die Gasteilchen im Gleichschritt, wie beim Bose-Einstein-Kondensat, oder gruppieren sich paarweise, wie beim fermionischen Kondensat. Diese „ultracoolen“ Gase sind ideale Versuchsobjekte, um fundamentale Phänomene der Physik unter die Lupe zu nehmen. Von solchen Studien versprechen sich Wissenschaftler neue Erkenntnisse über Suprafluidität und Supraleitung. Dabei geht es um Flüssigkeiten, die völlig reibungslos fließen, und um Materialien, die elektrischen Strom verlustfrei transportieren.

Obwohl die Atome in solchen kalten Quantengasen fast in Ruhe sind, vollziehen ihre Elektronen und Kerne einen wundersamen Formationstanz. Nur die Summe ihrer Bewegung bleibt auf geheimnisvolle Weise in Ruhe. In München werden Atom- und Molekülphysik neue „Impuls-Imagingverfahren“ vorstellen, mit deren Hilfe sich diese Bewegungen direkt beobachten lassen. Die Wissenschaft steht kurz davor, die Vielteilchendynamik in Molekülen und Atomen, eines der großen ungelösten Probleme der Quantenphysik, zu enträtseln. Neben großen Fortschritten in der Nachweistechnik eröffnen die neuen Forschungsanlagen am Hamburger DESY und bei der Darmstädter GSI (FEL-Laser bzw. GeV-Schwerionenbeschleuniger) die Möglichkeit, Lichtblitze im Bereich von Attosekunden (eine Attosekunde entspricht 0,000 000 000 000 000 001 Sekunden) oder gar von noch kürzerer Dauer zu erzeugen. Auf dieser Zeitskala gelten selbst die flinken Elektronen als „eingefroren“. Mit solchen Messverfahren lässt sich die „korrelierte Vielteilchendynamik“ in Atomen, Molekülen, Biomolekülen oder gar Festkörperoberflächen verfolgen. Deshalb sind diese Methoden für die interdisziplinäre Forschung hoch interessant.

Auch innerhalb von Molekülen können Atome im Gleichschritt schwingen. Für das Auge nicht sichtbar, denn die winzigen Teilchen bewegen sich im rasenden Takt. Wissenschaftliche „Paparazzi“ bedienen sich deshalb eine besonderen Schnappschusstechnik: der „Femtosekundenspektrokopie“. Mit Hilfe ultrakurzer Laserblitze, die nur Bruchteile einer Milliardstelsekunde andauern, können sie den molekularen Tanz wie mit einem Stroboskop festhalten – und so chemische und biologische Reaktionen verfolgen. In München werden neueste Techniken rund um diese „Super-Zeitraffer“ vorgestellt, die hierzulande entwickelt wurden (Vorträge und Fachsitzungen am 22. und am 25. März). Am 26. März wird dann in einer gemeinsamen Sitzung mit der Quantenoptik diskutiert, wie sich quantenmechanischen Systeme nicht nur untersuchen, sondern durch maßgeschneiderte ultrakurze Lichtfelder auch kontrollieren lassen.

Catherine Bréchignac, ehemalige Präsidentin der französischen Forschungsorganisation CNRS, wird am 24. März über ihre Arbeiten zu Clustern auf der Nanometer-Skala (ein Nanometer ist ein milliardstel Meter) berichten. Dabei wird sie aufzeigen, wie durch allmähliches Wachstum, ausgehend von mikroskopisch kleinen Atomkomplexen – so genannte Cluster, bei denen noch jedes einzelne Atom zählt – schließlich die Eigenschaften der Materie entstehen, wie wir sie kennen.

Wolfgang Sandner vom Max-Born-Institut in Berlin wird am 25. März von Atomen und Molekülen berichten, die per Laserlicht extremen Bedingungen ausgesetzt wurden. Die dabei eingesetzten Laser erzeugen Lichtblitze, deren Leistung kurzzeitig den Energiebedarf der Erde bei weitem übertreffen. Das Verhalten der Materie unter solchen Ausnahmebedingungen zu studieren, ist Ziel dieser Untersuchungen.

STRAHLENPHYSIK: Quanten, Atome und Moleküle sowie Licht und Laser prägen wesentlich das Programm der Tagung. Aber in München ist auch die Strahlenphysik vertreten. Die Beiträge aus dieser Fachdisziplin behandeln zum einen die Höhenstrahlung und die damit verbundene Belastung für Flugzeugbesatzungen, anderseits das Risiko, das von Röntgen-Untersuchungen ausgeht. Außerdem werden die Spätfolgen des Reaktorunglücks von Tschernobyl sowie der Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki diskutiert. Weitere Themen sind Strahlentherapie in der Krebsbehandlung (Plenarvortrag von Wolfgang Schlegel/Uni Heidelberg, am 22. März) und moderne Diagnoseverfahren wie die Computer-Tomographie, mit denen Ärzte ihre Patienten durchleuchten.

BIOPHYSIK: Besonders präzise blicken auch neueste optische Methoden in organisches Gewebe hinein. Die Wechselwirkung von Licht mit organischem Material ist einer der Tagungsschwerpunkte in der Sparte Biophysik. Hierbei geht es insbesondere um die „Optische Pinzette“. Mit diesem Laborverfahren lassen sich die winzigen Bestandteile von Zellen untersuchen und bewegen – völlig berührungslos, nur per Laserstrahl.

Während sich die Vorträge aus der „Biophotonik“ mit den optischen Eigenschaften organischer Substanzen befassen, geht es bei einem Symposium am 25. März um die elastischen Merkmale bzw. um die „Nicht-Gleichgewichtsdynamik“ von Biomolekülen. Diese sind nämlich alles andere als starre Gebilde. Proteine geben dafür ein gutes Beispiel: sie sind im Grunde genommen aus einem einzigen Polymerstrang gestrickt, der jedoch – per „molekularem Origami“ – zu einem komplexen Gebilde gefaltet ist. Erst dieser Faltungsprozess verleiht dem Molekül eine funktionsfähige Architektur. So entstehen zum Beispiel Bindungstaschen, mit denen ein Antikörper an Krankheitserreger andocken kann. Diese Flexibilität ist aber nicht nur für die Armada des Immunsystems maßgeblich, sondern ebenso für die Proteine von Muskelfasern, die DNS und für eine Vielzahl weiterer Biomoleküle. Die Evolution hat hier im Laufe von Jahrmilliarden echte Wunder mikroskopischer Ingenieurskunst vollbracht. Was wir von der Maschinerie der Zellen alles lernen können, ist am 26. März auch Thema eines Plenarvortrags von Steven Chu – Physik-Nobelpreisträger des Jahres 1997 und Forscher an der kalifornischen Stanford University.

ENERGIEWIRTSCHAFT UND KLIMAPOLITIK gehören zu den Schwerpunkten des DPG-Arbeitskreises „Energie“, der in München ebenfalls tagt. Welcher Energiemix garantiert die Stromversorgung künftiger Generationen und schont die Umwelt? Welche Rolle spielen dabei Brennstoffzellen, Biokraftstoffe oder etwa Methanhydrate, die auf dem Meeresboden lagern? Solche Fragen werden im Zuge mehrerer Fachsitzungen (22., 23. und 25. März) diskutiert. Ein Thema ist auch die Windkraft, deren Nutzung hierzulande intensiv vorangetrieben wird. Über das Förderprogramm rund um das „Erneuerbare Energien Gesetz“ berichtet am 22. März Udo Paschedag, Referatsleiter im Bundesumweltministerium.

UMWELTPHYSIK: Um Klimafragen geht es auch bei den Vorträgen mit dem Leitthema Umweltphysik (22. und 23. März). In der irdischen Klimaküche spielen Atmosphäre und Ozean eine wesentliche Rolle. Während bisherige Studien die Luft- und Wassermassen meist getrennt voneinander betrachteten, soll das internationale Projekt SOLAS nun deren Zusammenspiel erforschen (s. http:// www.uea.ac.uk/env/solas). Die Beziehung ist komplex, denn Atmosphäre und Ozean tauschen nicht nur Wärme und Wasserdampf aus, sondern auch Schwebstoffe und Treibhausgase. Dieser Austausch beeinflusst Klima, Atmosphärenchemie und die biologische Aktivität des Ozeans. Und es gibt Hinweise, dass sich diese Verflechtungen infolge der globalen Umweltveränderungen entscheidend wandeln werden. Weitere Vorträge aus dem Fachgebiet Umweltphysik gelten elektronischen Nasen zum Aufspüren von Staub und Geruch, wie sie etwa durch die Landwirtschaft freigesetzt werden. Außerdem wird diskutiert, auf welche Weise hoch liegenden Eiswolken – Zirren genannt – das Klima beeinflussen.

RüSTUNGSKONTROLLE: Am 25. und am 26. März erörtert der DPG-Arbeitskreis „Physik und Abrüstung“ – gemeinsam mit dem „Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit“ – Probleme der Rüstungskontrolle. Zu den Schwerpunkten zählen Nuklearterrorismus und der internationale Atomteststoppvertrag (CTBT). Auf dem Programm stehen Vorträge wie „Iran auf dem Weg zur Nuklearmacht?“. Außerdem wird der US-Amerikaner Frederick Lamb (University of Illinois) die Lücken des Abwehrsystems darlegen, das die USA gegen Angriffe mit Langstreckenraketen schützen soll. Diese Schwächen wurden von einer Studie der American Physical Society zu Tage gefördert, an der Lamb mitarbeitete (s. http://www.aps.org/public_affairs/popa/reports /nmd03.cfm). Die Themenreihe ergänzt ein Plenarvortrag über „Ethik und Wissenschaft“ des Briten John Ziman (s. http://www.sciencemag.org /cgi/content/full/282/5395/1813).

WäHREND EINER FESTSITZUNG am 24. März ehrt die DPG sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre herausragende Forschungstätigkeit (s. DPG-Pressemitteilung 25/2003). Zu den Preisträgern zählen Klaus Hepp, Quantenforscher und Neurowissenschaftler an der ETH Zürich, sowie die französische Festkörperphysikerin Dominique Langevin von der Université Paris Sud. Im Rahmen der Tagung werden außerdem zehn Schülerinnen und Schüler für ihre Leistungen bei internationalen Physik-Wettbewerben ausgezeichnet.

EIN öFFENTLICHER ABENDVORTRAG von Anton Zeilinger (Universität Wien und österreichische Akademie der Wissenschaften) rundet das Programm ab. Der Österreicher zählt zu den Pionieren der Quantenteleportation – gemeinhin auch als „Beamen“ bekannt. Mit der Welt der Quanten hatte Albert Einstein zeitlebens so seine Schwierigkeiten. Deshalb suchte er Jahre lang nach Widersprüchen im Gedankengebäude der Quantentheorie, ohne diese letztlich widerlegen zu können. Doch mit seinem ständigen Hinterfragen prägte er die Quantenphysik entscheidend mit. Daher spricht Zeilinger am 24. März über das Thema: „Wo Einstein nicht Recht hatte und trotzdem Wichtiges sagte“. Der Vortrag beginnt am 20:00 Uhr, Ort: Große Aula der LMU (Geschwister-Scholl-Platz 1). Eintritt frei.

Quelle: DPG Pressestelle


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