Sternentstehung unter Druck
Nicht allein die Massen von Gaswolken, sondern äußerer Druck entscheidet, ob sie zu Sternen kollabieren.
Eine mehrjährige Studie der Whirlpool-Galaxie hat das Bild der Astronomen von den riesigen Molekülwolken verändert, in denen Sterne entstehen. Der Untersuchung zufolge, in deren Rahmen ein Katalog mit 1500 solcher Wolken erstellt wurde, sind die Wolken offenbar in eine Art diffuser Molekül-Nebelschwaden eingebettet, die die gesamte galaktische Scheibe durchziehen. Der Druck, den diese Nebelschwaden ausüben, bestimmt, ob sich in den Wolken neue Sterne bilden oder nicht.
Abb.: Molekülwolken in der Whirlpool-Galaxie: in blau Wasserstoffmoleküle in M51, das Rohmaterial für die Sternentstehung (Bild: PAWS / IRAM / NASA / T. A. Rector, U. Anchorage)
Die meisten Sterne einer Galaxie werden im Inneren riesiger Molekülwolken geboren – Ansammlungen von Wasserstoffmolekülen mit Massen zwischen eintausend und einige Millionen Sonnenmasse. Kollabiert eine Gasregion im Inneren dieser Wolken unter ihrer eigenen Schwerkraft, dann zieht sich das Gas darin soweit zusammen, bis Kernfusion einsetzen kann: Ein neuer Stern ist entstanden.
Jetzt stellt eine neue Studie die herkömmlichen Ansichten der Astronomen über diese Stern-Geburtsstätten infrage. Eva Schinnerer vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), die die Studie geleitet hat, erklärt: „In den letzten vier Jahren haben wir die bislang vollständigste Kartierung solcher riesigen Molekülwolken in einer Spiralgalaxie vorgenommen, die unserer eigenen Milchstraße sehr ähnlich ist. Dazu haben wir rekonstruiert, wie viele Wasserstoff-Moleküle es dort gibt und wie das Molekülgas sowie die älteren und die jüngeren Sterne der Galaxie verteilt sind. Dabei ergibt sich ein Bild, das sich deutlich von dem unterscheidet, was Astronomen bislang über diese Molekülwolken dachten.“ Die Durchmusterung heißt kurz PAWS und hat die Whirlpoolgalaxie M51 ins Visier genommen, eine Spiralgalaxie im Sternbild Jagdhunde, rund 23 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.
Annie Hughes, eine Postdoktorandin am MPIA, die an der Studie beteiligt war, sagt: „Astronomen haben sich diese Molekülwolken früher immer als Einzelgänger vorgestellt, die für sich alleine durch das extrem dünne Gas des interstellaren Mediums driften – in den Wolken, so dachte man, sei der überwiegende Teil der Wasserstoffmoleküle einer Galaxie gespeichert. Stattdessen haben wir jetzt gezeigt, dass sich in der Whirlpool-Galaxie rund die Hälfte der Wasserstoffmoleküle in einer Art diffuser Nebelschwaden befinden, welche die Molekülwolken umgeben und die gesamte Scheibe der Galaxie ausfüllen!“
Den Armen von Spiralgalaxien hatten die Astronomen bereits früher eine wichtige Rolle bei der Sternentstehung zugewiesen: In den Spiralarmen mit ihrem dichteren Gas seien die Bedingungen für die Geburt neuer Sterne besonders günstig. Doch die Studie zeigt, dass auch die neu entdeckten „Nebelschwaden“ aus Gas eine wichtige Rolle spielen.
Sharon Meidt, ebenfalls am MPIA, sagt: „Die Molekülwolken sind definitiv keine Einzelgänger. Im Gegenteil: Ob sich in einer dieser Wolken neue Sterne bilden, hängt entscheidend von der Wechselwirkung zwischen der Wolke, den umgebenden Nebelschwaden und der großräumigen Struktur der Galaxie ab. Bewegen sich die Nebelschwaden relativ zu den Spiralarmen der Galaxie, dann nimmt der Druck in ihrem Inneren ab – Folge eines allgemeinen Strömungsgesetzes, des Bernoulli-Gesetzes. Auch auf die Wolken im Inneren der Nebelschwaden wirkt dann nur noch ein geringerer Außendruck. Dadurch wird es unwahrscheinlich, dass solch eine Wolke kollabiert und neue Sterne bildet.“
Schinnerer ergänzt: „Bislang haben wir mit der Whirlpool-Galaxie nur eine einzige Beispielgalaxie derart genau untersucht. Als nächstes müssen wir nachprüfen, wieweit sich unsere Ergebnisse auf andere Galaxien übertragen lassen. Dafür eignet sich die geplante Erweiterung NOEMA des Verbundteleskops auf dem Plateau de Bure als auch das Verbundteleskop ALMA in Chile – mit ihnen können wir Wolkenatlanten für Spiralgalaxien erstellen, die noch deutlich weiter entfernt sind als die Whirlpool-Galaxie.“
MPIA / DE