05.12.2025

Strahldiagnostik für den LHC

Mithilfe eines Gasvorhangs lässt sich die Form und die Qualität des Teilchenstrahls bei beliebigen Energien messen – damit sind auch medizinische Anwendungen möglich.

Die Erzeugung des Teilchenstrahls ist eine komplexe Angelegenheit. Wie viele Partikel wo und wie schnell unterwegs sind, können die Forschenden zwar mithilfe aller Einstellungen im Prinzip berechnen. Aber so richtig gut überprüfen konnten sie den Zustand ihres kostbaren Strahls bislang nicht, weil die hochenergetischen Teilchen alle ihnen in den Weg gestellten Detektoren einfach zerstören würden. Ein Team aus Liverpool, Genf und Darmstadt um Carsten Welsch vom Cockcroft Institute und der Universität Liverpool hat dieses Problem gelöst: ein überschallschneller Vorhang aus Neon kreuzt den Beschleunigerstrahl und wird von ihm zum Leuchten angeregt. Daher der Name des Geräts: „Beam Gas Curtain“, kurz BGC.

Da sich der zu untersuchende LHC-Strahl in einem Vakuumrohr befindet, lässt sich dort nicht einfach ein Gas injizieren – es würde sich unkontrolliert ausbreiten, verpuffen und sogar den Beschleuniger verunreinigen. Die Lösung ist, die Gasteilchen mit Überschallgeschwindigkeit durch die Röhre zu schicken. Denn durch die hohe Geschwindigkeit behalten die Teilchen ihre Richtung bei, da Störungen sich höchstens mit Schallgeschwindigkeit ausbreiten können. Aus dem gerichteten Gasstrom lässt sich dann ein räumlich eng begrenzter Gasvorhang abschälen, der mit dem zu untersuchenden Teilchenstrahl gekreuzt wird.

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Das Wasserstoffatom der starken Wechselwirkung

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Janna Katharina Behr • 9/2025 • Seite 69

Die Fingerabdrücke des Vakuums

Treffen die lichtschnellen Teilchen auf die Gas­teilchen, geben sie Energie an diese ab. Die Neon­atome kön­nen diese Zusatz­energie jedoch nur zeitlich begrenzt auf­nehmen und fallen danach in ihren vor­he­ri­gen Zustand zurück. Die über­schüs­sige Energie geben sie in Form von Fluo­res­zenz ab. Je mehr Atome fluo­res­zie­ren, desto heller wird das Kamera­signal. Der Rück­schluss auf die Zahl der Teil­chen im Strahl ist intui­tiv: Je heller, desto mehr. Aller­dings werden längst nicht alle Teil­chen des Strahls Opfer dieses Mess­prozes­ses – im Gegen­teil. Pro Sekunde gehen weniger als ein 250-Mil­lions­tel der Atom­kerne im LHC durch die Mes­sung verloren. Mehr wäre auch uner­wünscht, denn der Teilchen­strahl soll selbst­ver­ständlich nur so wenig wie mög­lich gestört werden.

Um zusätzlich einen Ein­druck von den geo­metri­schen Eigen­schaf­ten des Strahls zu be­kom­men – wie breit und hoch er also ist – wird der Gas­vorhang unter einem 45°-Winkel mit dem Teilchen­strahl gekreuzt. Die Inter­aktions­fläche bekommt damit die Form einer schräg ge­schnit­tenen Scheibe. Der Detektor blickt senk­recht darauf und sieht dem­nach ein rundes Bild, dessen Maße Rück­schlüsse auf die geo­metri­schen Eigen­schaf­ten des Strahls sowie auf streu­nende Teil­chen erlauben.

Dass das Ganze funktioniert, haben Welsch und sein Team in den vergang­enen Jahren aus­gie­big getestet. Im März 2023 instal­lierten sie ihr Instrument wäh­rend einer routine­mäßigen Umbau­pause am Genfer Beschleu­niger. Der Gas­vor­hang liefert seither rund um die Uhr gesto­chen scharfe Bilder des Teilchen­strahls. „Wir waren über­rascht, wie ein­wand­frei es funk­tio­niert“, so Welsch. „Wir haben das Gerät einge­schal­tet und es lie­fer­te sofort gute Daten.“ Die ersten Ergeb­nisse und damit den Nach­weis, dass der Gas­vor­hang funk­tio­niert, hat das Team jetzt veröffent­licht.

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[Anders als im Video sugge­riert kann der Detek­tor keine ein­zelnen Teilchen­pakete getrennt beobachten, sondern misst eine durch­schnitt­liche Beam­position über mehrere solcher Teilchen­pakete.]

Die Leistung des Gasvorhang­detektors hat sich als so gut heraus­gestellt, dass er seitdem mit mehr als zwei­tausend Stunden pro Jahr vom CERN als fort­laufendes Über­wachungs­instrument der Stream-Qualität einge­setzt wird. Derzeit bauen die For­schen­den ein zweites Instru­ment für die Über­wachung des gegen­läufigen Teilchen­strahls. „Dieser soll inner­halb der nächsten zwei Jahre einge­baut werden, sodass mit der neuen Technik eine dauer­hafte Beam­diagnose am LHC ermög­licht wird“, blickt Welsch in die Zukunft.

Auch mit Betreibern anderer Teilchen­beschleuniger sei man bereits im Gespräch, so Welsch. Denn indem sie andere Gase oder andere Geo­metrien verwenden, können die Forschenden das Diagnose­werkzeug prinzi­piell für fast jede Art von Be­schleu­niger anpassen. Besonders hilf­reich ist dabei, dass der Strahl­monitor alle Energie­bereiche eines Beschleu­nigers abdeckt. Zu den möglichen weiteren Einsatz­orten zählen daher nicht nur andere Groß­forschungs­einrich­tungen, sondern auch Beschleu­niger, wie sie für medizi­nische Zwecke in größeren Kliniken oder Bestrahlungs­zentren zu finden sind. Denn hier könnte mithilfe des Gas­vor­hangs die genaue Dosis zur Bestrah­lung eines Tumors überwacht werden, während Patient:innen behandelt werden. Die Anlage müsste nicht mehr täglich für einige Zeit ruhen, um das System zu kali­brieren, und bis zu 15 Prozent mehr Zeit stünden zur Verfü­gung für die Behand­lung von Patien­ten, schätzt Welsch ab: „Dadurch können 15 Prozent mehr Tumore mit dem beste­henden Geräte­park behan­delt und entspre­chend mehr Leben geret­tet werden.“ [awk-jk / dre]

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