Superflares einmal pro Jahrhundert
Häufiger als bisher gedacht schleudern sonnenähnliche Sterne gewaltige Mengen an Strahlung ins All.
Auf Sternen, die der Sonne ähneln, kommt es im Durchschnitt pro Stern etwa einmal alle hundert Jahre zu einem gigantischen Strahlungsausbruch. Ein solcher lässt im Vergleich alle bisher aufgezeichneten Sonneneruptionen verblassen. Diese Einschätzung beruht auf einer Bestandsaufnahme von 56.450 sonnenähnlichen Sternen, die ein internationales Forschungsteam unter Leitung des MPI für Sonnensystemforschung vorgelegt hat. Dabei zeigt sich, dass frühere Studien das eruptive Potenzial dieser Sterne deutlich unterschätzt haben. Zehn bis hundertmal so häufig wie bisher angenommen blitzen die gewaltigen Superflares in den entsprechenden Beobachtungsdaten des Weltraumteleskops Kepler auf. Auch die Sonne dürfte zu ähnlich heftigen Ausbrüchen fähig sein.
Dass die Sonne ein temperamentvoller Stern ist, steht außer Frage. Davon zeugen allein die ungewohnt starken Sonnenstürme des vergangenen Jahres, die sich durch eindrucksvolle Polarlichter selbst in niedrigen Breiten bemerkbar gemacht haben. Doch kann unser Stern auch zur Furie werden? Belege für heftigste solare Wutanfälle finden sich in vorzeitlichen Baumstämmen und in Proben jahrtausendealten Gletschereises. Die Häufigkeit von Superflares lässt sich diesen indirekten Quellen jedoch nicht entnehmen. Und direkte Messungen der Strahlungsmenge, welche die Erde von der Sonne erreicht, gibt es erst seit Beginn des Weltraumzeitalters.
Eine weitere Möglichkeit, dem langfristigen Verhalten unseres Sterns auf die Schliche zu kommen, bietet – wie in der aktuellen Studie – der Blick in die Sterne. Moderne Weltraumteleskope beobachten abertausende von Sternen und zeichnen ihre Helligkeitsschwankungen auf. Superflares, die innerhalb kurzer Zeit Energiemengen von mehr als Quadrilliarden Joule freisetzen, verraten sich in den Messdaten durch kurze, sehr heftige Helligkeitsspitzen im sichtbaren Licht.
„Wir können die Sonne nicht über Tausende von Jahren beobachten“, erklärt Sami Solanki vom MPS den Grundgedanken der Untersuchung. „Stattdessen können wir aber das Verhalten Tausender sonnenähnlicher Sterne über kurze Zeiträume überwachen. Das hilft uns einzuschätzen, wie häufig es zu Superflares kommt“, fügt er hinzu.
In der aktuellen Studie wertete das Team die Messdaten von 56.450 sonnenähnlichen Sternen aus, die das NASA-Weltraumteleskop Kepler in der Zeit von 2009 bis 2013 im Visier hatte. „Die Kepler-Daten liefern uns in ihrer Gesamtheit das Zeugnis von 220.000 Jahren stellarer Aktivität“, so Alexander Shapiro von der Universität Graz.
Entscheidend ist dabei die sorgfältige Auswahl der Sterne. Schließlich sollen sie sich durch besonders enge Verwandtschaftsbeziehungen zur Sonne auszeichnen. Die Wissenschaftler ließen deshalb nur solche Sterne zu, deren Oberflächentemperatur und Helligkeit den Werten der Sonne ähneln. Zudem schlossen die Forscher zahlreiche Fehlerquellen aus, wie etwa kosmische Strahlung, vorbeiziehende Asteroiden oder Kometen sowie nicht-sonnenähnliche Sterne, die auf Aufnahmen des Weltraumteleskops rein zufällig in der Nähe eines sonnenähnlichen Kollegen aufblitzen.
Dafür wertete das Team die nur wenige Pixel großen Bilder jedes Verdachts-Superflares sorgfältig aus und ließ nur diejenigen gelten, die sich verlässlich einem der ausgewählten Sterne zuordnen ließen. Auf diese Weise identifizierten die Forscher 2889 Superflares auf 2527 der 56.450 betrachteten Sterne. Demnach schleudert im Durchschnitt ein sonnenähnlicher Stern einen Superflare pro Jahrhundert ins All.
„Dass sonnenähnliche Sterne so häufig zu gigantischen Strahlungsausbrüchen neigen, hat uns sehr überrascht“, so Valeriy Vasilyev vom MPS. Frühere Bestandsaufahmen anderer Forschungsgruppen hatten Zeitabstände von durchschnittlich tausend oder sogar zehntausend Jahren gefunden. Allerdings konnten frühere Studien nicht die genaue Quelle des beobachteten Helligkeitsblitzes bestimmen und mussten sich deshalb auf Sterne beschränken, die auf den Teleskop-Aufnahmen keine zu nahen Nachbarn haben. Die aktuelle Studie dürfte die bisher präziseste und empfindlichste sein.
Größere durchschnittliche Zeitabstände zwischen solaren Extremereignissen legten bisher auch Untersuchungen nahe, die auf der Erde nach Hinweisen für heftige Sonnenstürme suchen. Trifft ein besonders starker Fluss energetischer Teilchen von der Sonne auf die Erdatmosphäre, entsteht eine messbare Menge radioaktiver Atome wie etwa des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops 14C. Diese lagern sich in natürlichen Archiven ein, etwa in Baumringen und Gletschereis. Auch Jahrtausende später lässt sich durch Messungen der 14C-Mengen mit modernen Techniken auf den plötzlichen Einfall hochenergetischer Sonnenteilchen schließen.
Auf diese Weise konnten Forscher innerhalb der vergangenen zwölftausend Jahren fünf extreme Teilchenausbrüche der Sonne und drei Kandidaten für solche Ausbrüche identifizieren. Der heftigste dürfte sich im Jahre 775 unserer Zeitrechnung ereignet haben. Allerdings ist es gut möglich, dass es in der Vergangenheit auf der Sonne zu mehr solcher heftigen Teilchenausbrüchen und auch zu mehr Superflares gekommen ist.
„Es ist unklar, ob gigantische Strahlungsausbrüche immer mit Teilchenausbrüchen einhergehen und wie beide Phänomene zusammenhängen. Weitere Forschung ist notwendig“, gibt Ilya Usoskin von der Universität im finnischen Oulu zu Bedenken. Der Blick auf die irdischen Zeugnisse vergangener Sonneneruptionen könnte die Häufigkeit von Superflares deshalb unterschätzen.
Wann sich die schlechte Laune der Sonne das nächste Mal besonders heftig entlädt, lässt sich der neuen Studie nicht entnehmen. Doch die Ergebnisse mahnen zur Vorsicht. „Die neuen Zahlen erinnern eindringlich daran, dass auch extremste Sonnenstürme zum natürlichen Repertoire der Sonne gehören“, so Natalie Krivova vom MPS. Beim Carrington-Ereignis von 1859, einem der heftigsten Sonnenstürme der vergangenen zweihundert Jahre, brach in weiten Teilen Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen. Der dazugehörige Strahlungsausbruch setzte Schätzungen zur Folge nur ein Hundertstel der Energie eines Superflares frei. Heute wären bei einem solchen Ereignis neben der Infrastruktur auf der Erdoberfläche vor allem Satelliten gefährdet.
Als wichtigste Vorbereitung auf starke Sonnenstürme gilt deshalb eine verlässliche und rechtzeitige Vorhersage. Beispielsweise lassen sich Satelliten vorsorglich abschalten. Ab 2031 soll die ESA-Raumsonde Vigil bei solchen Vorhersagen helfen. Von ihrer Beobachtungsposition im All schaut sie von der Seite auf die Sonne und bemerkt so eher als erdnahe Sonden, wenn sich auf unserem Stern Prozesse zusammenbrauen, die gefährliches Weltraumwetter auslösen können. Das MPS entwickelt derzeit das Instrument Polarimetric and Magnetic Imager für diese Mission.
MPS / RK