31.08.2017

Versteckte Turbulenzen

Riesige, turbulente Reservoirs an kühlem Gas niedriger Dichte in fernen Galaxien identifiziert.

Ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Edith Falgarone von der École Normale Supérieure und Observatoire de Paris hat mit dem Atacama Large Millimeter/­submillimeter Array (ALMA) Spuren von Kohlenstoff­hydrid-Molekülen CH+ in fernen Starburst-Galaxien nachzuweisen. Die Forscher identifizierten deutliche Signale von CH+ in fünf von sechs der untersuchten Galaxien einschließlich jener, denen die Astronomen den Spitznamen „Kosmische Wimper" gegeben haben. Dies liefert neue Informationen, mit deren Hilfe Astronomen das Wachstum von Galaxien verstehen sowie nachvollziehen können, wie die Umgebung einer Galaxie Roh­material für die Stern­entstehung liefert.

Abb.: Künstlerische Darstellung von Gas, das als Rohmaterial für ferne Starburst-Galaxien dient (Bild: ESO / L. Benassi)

„CH+ ist ein besonderes Molekül. Für seine Entstehung ist eine gehörige Menge an Energie vonnöten, und es ist sehr reaktions­freudig. Daher ist seine Lebens­zeit sehr kurz, und das Molekül kann nicht weit von seinem Entstehungsort wegtransportiert werden. Mit CH+ lassen sich daher Energieströme in Galaxien und ihren Umgebungen nachzeichnen", erläutert Martin Zwaan, ein ESO-Astronom, der zu dem Fachartikel beigetragen hat.

Eine Analogie dafür, wie sich mithilfe von CH+ Energie nachweisen lässt, ist ein Boot in einem tropischen Meer in einer mondlosen Nacht. Unter geeigneten Bedingungen leuchten unter dem vorbei­segelnden Boot Mikro­organismen als Meeres­leuchten auf. Die Turbulenz aufgrund des durch das Wasser gleitenden Bootsrumpfes regt diese Mikroorganismen dazu an, Licht auszusenden, und das Licht zeigt wiederum an, wo in dem eigentlich dunklen Wasser sich turbulente Regionen befinden. Da CH+ sich ausschließlich in kleinen Bereichen bildet, wo die Energie der turbulenten Strömung in Wärmeenergie umgesetzt wird, erfüllt sie eine ganz analoge Nachweis­funktion wie das Meeres­leuchten – auf galaktischen Größenskalen.

Das beobachtete CH+ zeigt dichte Schockwellen, die von heißen, schnellen galaktischen Winden erzeugt werden, die aus den Stern­entstehungs­regionen der Galaxien stammen. Diese Winde fegen durch eine Galaxie und treiben dabei Materie aus der Galaxie heraus; ihre turbulenten Bewegungen sind aber dergestalt, dass ein Teil des Materials später durch das Schwerefeld der Galaxie wieder eingefangen werden kann. Dieses wieder eingefangene Material bildet riesige, turbulente Reservoirs an kühlem Gas niedriger Dichte, die sich bis in einen Abstand von mehr als 30.000 Lichtjahren von der betreffenden Stern­entstehungs­region erstrecken können.

„Von CH+ lernen wir, dass Energie in Form riesiger, galaxien­großer Winde gespeichert wird und sich am Ende als turbulente Bewegung in bislang nicht beobachteten Reservoirs von kaltem Gas manifestiert", erklärt Falgarone, die Erst­autorin des neuen Fachartikels. „Unsere Ergebnisse sind eine Herausforderung für die Theorie der Galaxien­entwicklung. Indem sie die Turbulenz in die Reservoirs treiben, verlängern diese galaktischen Winde die Starburst-Phase mit besonders aktiver Stern­entstehung, anstatt sie zum Erlöschen zu bringen."

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die galaktischen Winde alleine nicht ausreichen, um die neu­entdeckten Gas-Reservoirs wieder aufzufüllen, und schlagen vor, dass die entsprechende Masse über die Verschmelzung von Galaxien oder durch das Aufsammeln versteckter Gas­strömungen zur Verfügung gestellt wird, wie es die heutigen Theorien vorhersagen.

„Die Entdeckung stellt einen wichtigen Schritt hin auf ein besseres Verständnis derjenigen Prozesse dar, mit denen das Einströmen von Material rund um einige der aktivsten Starburst-Galaxien im frühen Universum geregelt wird", schließt Rob Ivison, wissenschaftlicher Direktor der ESO und Koautor des Fach­artikels. „Sie zeigt, was alles möglich ist, wenn Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen­kommen, um das Leistungs­vermögen eines der leistungs­stärksten Teleskope der Welt auszunutzen."

MPIA / DE

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