Warum Sternhaufen nicht „explodieren“
Junge Sterne heizen das Gas in Haufen sehr stark auf, doch die Eigengravitation behält die Oberhand.
Wie entstehen Sternhaufen? Astronomen zerbrechen sich über diese Frage schon seit Jahrzehnten die Köpfe. „Eine weithin akzeptierte Vorstellung besagt, dass sich das Gas in einer Galaxie an einem Ort verdichten kann“, sagt Sambaran Banerjee vom Argelander-Institut für Astronomie (AIfA) der Universität Bonn. Das Gas kühlt ab, bildet dabei Moleküle und kann unter der Eigengravitation zusammenfallen. In einer solchen Wolke kommt es zu Schwankungen in der Moleküldichte, wodurch Protosterne entstehen können. Das Gesamtgebilde fügt sich zu einem Sternhaufen zusammen, die typischerweise sehr kompakt sind und bis zu mehrere Millionen Sterne enthalten können. Die vielen jungen Sterne heizen das Gas im Sternhaufen auf, bis es diesen explosionsartig verlässt. „Der junge Sternhaufen stößt auf diese Weise rund 70 Prozent der Gesamtmasse aus“, erklärt AIfA-Direktor Pavel Kroupa. „Sehr junge Haufen müssten also auseinanderfliegen.“ Allerdings stellen neue Beobachtungen dieses Szenario infrage.
Abb.: Hubble-Aufnahme von R136 in repräsentativen Farben – Blau ist das Licht von den heißesten und schwersten Sternen, Grün stammt von glühendem Sauerstoff und Rot von fluoreszierendem Wasserstoff. (Bild: NASA / ESA / F. Paresce, INAF-IASF / R. O'Connell, U. Virginia)
Ein internationales Team unter der Leitung von Vincent Hénault-Brunet vom Astronomischen Institut der Universität Edinburgh hat die Bewegungen der Sterne in dem außerordentlich schweren jungen Sternhaufen R136 vermessen, der etwa 150.000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Tarantelnebel der Großen Magellanschen Wolke liegt und weniger als drei Millionen Jahre alt ist. Er kommt auf etwa 100.000 Sonnenmassen, vergleichbar einem Kugelsternhaufen. „Die Messungen zeigen, dass die Sterne sich mit Geschwindigkeiten von rund 16.000 Stundenkilometer bewegen – deutlich langsamer als die Theorie vorhersagt“, erläutert Banerjee. R136 scheint also nicht auseinanderzufliegen. Stimmt die Theorie also nicht? Ist dieser Sternhaufen ganz anders entstanden als bisher gedacht? „Wenn es so wäre, hätte dies bedeutende Auswirkungen auf große Bereiche der Astrophysik, etwa darauf, wie Sterne sich von Geburt aus in eine Galaxie hineinbewegen“, sagt Kroupa.
Die Bonner Forscher berechneten mit Supercomputern die Entwicklung des Sternhaufens. Dazu lösten sie unzählige Differentialgleichungen, die die Bewegung jedes Sternes bestimmen, und berücksichtigten insbesondere die Reaktion der Sterne auf den Ausfluss des aufgeheizten Gases aus dem jungen Sternhaufen. „Die Berechnungen zeigen, dass der Sternhaufen deutlich auf den Gasauswurf reagierte, indem er sich aufblähte“, berichtet Banerjee. Allerdings zog sich ein bedeutender Teil wieder schnell – binnen etwa einer Million Jahre – zusammen. Ursache war die Eigengravitation. Deswegen ist der Haufen heute tatsächlich im Gleichgewicht, genau wie die Messungen zeigen. Obwohl sich die Sterne in dem Haufen auf chaotischen Bahnen umeinander bewegen, verändert das Gebilde nicht mehr seine Größe.
Bei einem schweren Sternhaufen wirkt die Gravitation wie ein sehr steifes Gummiband, welches sich sehr schnell wieder zusammenzieht, nachdem man es dehnt und loslässt. Bei einem leichteren Sternhaufen, wie etwa dem nur etwa eine Millionen Jahre alten Haufen NGC 3603 in der Milchstraße, wirkt die Eigengravitation hingegen wie ein schwaches Gummiband – und solch ein Haufen braucht viel länger, um wieder ins Gleichgewicht zurückzukehren. Viele der kleinen Sternhaufen schaffen dies nie und lösen sich vollständig auf. Somit bestätigten die Astronomen die Theorie, wie Sternhaufen entstehen, und zeigten dabei zum ersten Mal, wie schnell sich schwere Sternhaufen zusammenziehen können.
RFWU / OD