Wasserstoff-Blei-Kollisionen gebären Mesonen
LHCb-Detektor am CERN liefert Daten zum Verständnis des Materiezustands am Beginn unseres Universums.
Unmittelbar nach dem Urknall waren Quarks und Gluonen noch nicht in Elementarteilchen gebunden. Stattdessen bildete die extrem heiße Materie ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma. Auch in sehr energiereichen „Frontalzusammenstößen“ von Kernen schwerer Elemente wie Blei kann für extrem kurze Zeitspannen ein Quark-Gluon-Plasma von Atomkerngröße entstehen, bevor tausende, meist kurzlebige Teilchen von der „Unfallstelle“ davon fliegen. Nachweisen lässt sich ein Quark-Gluon-Plasma nur indirekt, beispielsweise dadurch, dass die Bildung bestimmter Teilchen in der Reaktion relativ unterdrückt ist. Allerdings kann auch normale „kalte“ Kernmaterie solche Effekte bewirken.
Abb.: Eine Proton-Blei-Kollision, beobachtet mit dem LHCb-Detektor während der Messphase. (Bild: LHCb-Kollaboration)
Es ist also erforderlich, beide Effekte aufzudröseln, wenn man das Quark-Gluon-Plasma verstehen und damit mehr über den Urknall lernen will. Bei Kollisionen von Protonen mit schweren Kernen oder von Protonen untereinander kann kein Quark-Gluon-Plasma entstehen, während die Effekte der kalten Kernmaterie auftreten. Deshalb hat die an der LHCb-Kollaboration beteiligte Gruppe von Michael Schmelling vom MPI für Kernphysik sich maßgeblich für ein Experiment engagiert, das gleichzeitig ein neues Einsatzgebiet für den LHCb-Detektor darstellt: Kollisionen von Blei-Kernen mit Protonen. Ein erstes Resultat ist die Messung der Produktion einer bestimmten Sorte schwerer Teilchen, sogenannter J/ψ-Mesonen. In Blei-Blei-Stößen dagegen entstehen so extrem viele Teilchen, dass LHCb aufgrund seiner Konstruktion quasi geblendet und möglicherweise sogar beschädigt würde.
Der LHCb-Detektor, etwa 20 Meter lang und 10 Meter hoch, ist der kleinste der vier großen Teilchendetektoren am Large Hadron Collider des CERN. Seine Spezialität ist es, nahe am Kollisionspunkt und im spitzen Winkel zur Flugrichtung der Projektile die im Stoß erzeugten Teilchen zu registrieren. Mit seinen verschiedenen Komponenten kann er sowohl die Teilchen identifizieren als auch ihren Ursprungspunkt genau lokalisieren.
Für das Experiment beschleunigten Forscher Anfang des Jahres etwa drei Wochen lang im LHC Protonen und Bleikerne mit entgegengesetzter Flugrichtung auf eine Energie von mehreren TeV pro Nukleon (ein Tera-Elektronenvolt ist die Energie, die ein Proton erhält, wenn es eine Spannung von einer Billion Volt durchfallen hat) und brachten sie zur Kollision. Um diese unsymmetrischen Kollisionen sozusagen von der Tischtennisball- und der Basketballseite aus untersuchen zu können, wurde nach zwei Wochen die Flugrichtung der beiden Strahlen umgekehrt.
In den Stößen werden J/ψ-Mesonen sowohl direkt, als auch über den Zerfall noch schwererer Teilchen gebildet, die erst einige Millimeter weit fliegen ehe sie zerfallen. LHCb kann diese beiden Beiträge unterscheiden. Die J/ψ-Mesonen selbst verraten sich anhand eines charakteristischen Zerfallsmusters. Wie erwartet unterscheidet sich ihre Produktion auf den beiden Reaktionswegen und hängt auch von der Beobachtungsrichtung ab. Die Messergebisse sind konsistent mit den – noch recht unsicheren – theoretischen Vorhersagen und in guter Übereinstimmung mit den parallel durchgeführten Messungen mit dem ALICE-Detektor am LHC. ALICE kann allerdings bloß die Summe von direkten und indirekten Beiträgen messen.
„Zusammen mit den früheren Messungen aus Proton-Proton-Stößen schaffen die Proton-Blei-Resultate damit die Voraussetzung, die Eigenschaften des Quark-Gluon-Plasmas am LHC mit hoher Genauigkeit zu bestimmen“, resümiert Michael Schmelling.
MPIK / PH