Weißt du, wieviel Sternlein entstehen?
ALMA verrät, wie im System NGC 253 Materieströme die Geburt von Sternen bremsen.
Galaxien – Systeme aus bis zu Hunderten Milliarden von Sternen – gelten als die Grundbausteine des Universums auf großen Skalen. Die Astronomen wollen unter anderem verstehen, wie sich diese von den ersten Protogalaxien kurz nach dem Urknall bis heute entwickelt haben. Eine entscheidende Frage dabei lautet: Was bestimmt, wie viele Sterne in einer Galaxie entstehen?
Abb.: Das Bild zeigt die Geschwindigkeitsverteilung von Kohlenmonoxid im Kern der Starburst-Galaxie NGC 253, der Farbverlauf repräsentiert die Intensität der Strahlung von pink (stark) bis rot (schwach; Bild: E. Rosolowsky)
Ein wichtiger Teil der Antwort sind Mechanismen, welche die Sternentstehung behindern können. Paradoxerweise gehört dazu auch die Sterngeburt selbst: Bilden sich neue Sterne, dann ist ein gewisser Anteil davon sehr massereich. Diese leuchten sehr hell, und ihre intensive Strahlung führt zu Sternwinden: Gas- und Plasmaströme „wehen“ vom Stern weg, sie können stark genug sein, um Gas gänzlich aus der Galaxie hinauszutreiben. Außerdem beenden massereiche Sterne ihr verhältnismäßig kurzes Leben in Supernovae und schleudern dabei ihre äußeren Schalen ins All – zusammen mit etwaigem Material, das der Explosion in die Quere kommt.
Auf diese Weise können Episoden starker Sternentstehung – „Starbursts“ genannt – die Bildung zukünftiger Sterngenerationen stark behindern. Molekulares Gas, das aus der Galaxie katapultiert wurde, dient schließlich nicht mehr als Rohmaterial für neue Sterne. So gibt es Grenzen des galaktischen Wachstums.
Bisher fehlte jedoch der direkte Nachweis, dass Starbursts in der Tat starke molekulare Gasausflüsse erzeugen können. Diese Lücke haben Astronomen um Alberto Bolatto von der University of Maryland jetzt geschlossen: Sie untersuchten die Starburstgalaxie NGC 253, auch bekannt als Sculptor-Galaxie. Mit einer Entfernung von elf Millionen Lichtjahren ist das im Sternbild „Bildhauer“ (lat. Sculptor) am Südhimmel gelegene Objekt einer unserer näheren galaktischen Nachbarn. Mit dem Verbundteleskop ALMA visierten die Forscher die Zentralregion von NGC 253 an – und fanden in der Tat molekulares Gas, das senkrecht zur galaktischen Scheibe ausströmt.
Dass es diese Sorte von Materieströmen gibt, hatten die Astronomen bisher nur vermutet. Beobachtungen im Röntgenlicht hatten zwar zuvor schon gezeigt, dass sehr dünnes und heißes Gas aus NGC 253 ausfließt. Aber jetzt gelang der erste direkte Nachweis von großen Mengen molekularen Gases – dem Rohmaterial der Sternentstehung. Und diese Materieflüsse schränken tatsächlich die Möglichkeiten der Galaxie ein, in Zukunft weitere Sterne zu bilden.
Alberto Bolatto, Erstautor der Studie erklärt: „Die Gasmenge, die wir messen, zeigt deutlich, dass einige sternbildende Galaxien mehr Gas ausspucken als sie aufnehmen.“ Die Astronomen schätzen, dass NGC 253 jedes Jahr Gas mit einer Gesamtmasse von neun Sonnenmassen auswirft. Das ist rund dreimal so viel wie die Gesamtmasse der Sterne, die jedes Jahr in NGC 253 neu entstehen. Diese Masse wiederum ist um ein Vielfaches größer als die aller Sterne, die jährlich in unserer Milchstraße geboren werden.
Abb.: Das kleinere Falschfarbenbild zeigt die Zentralregion der Spiralgalaxie, den entscheidenden Hinweis gibt das Vorhandensein von molekularem Gas an den Rändern der Gasströmung. (Bild: A. Bolatto / 2MASS / UMass / IPAC-Caltech / NASA / NSF)
Die Beobachter nutzten das in Chile stationierte internationale Verbundteleskop ALMA (Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array). Die Anlage erlaubt es, Strahlung im Millimeter/Submillimeter-Bereich in beispiellosem Detailreichtum aufzuzeichnen. Die Beobachtungen von NGC 253 konzentrierten sich dabei auf die Strahlung von Kohlenmonoxid-Molekülen. Kohlenmonoxid tritt überall dort auf, wo es auch molekularen Wasserstoff gibt, also den Stoff für die Sternentstehung.
Aus dem Vorkommen von Kohlenmonoxid schlossen die Astronomen direkt auf die Anwesenheit von molekularem Wasserstoff. Zusätzliche Daten gewannen sie mit dem 22-Meter-Mopra-Radioteleskop, das in der Nähe von Coonabarabran in New South Wales steht. Zum Vergleich verwendeten die Forscher schließlich Bildmaterial des Weltraumteleskops Hubble, des Röntgensatelliten Chandra und des Cerro Tololo Inter-American Observatory.
„Für mich ist die Entdeckung ein Paradebeispiel dafür, wie neue Instrumente die Zukunft der Astronomie bestimmen. Wir haben die Starburst-Region in NGC 253 und andere nahe gelegene Starburstgalaxien fast zehn Jahre lang untersucht. Aber bevor es ALMA gab, hatten wir keine Chance, derart feine Details zu sehen“, sagt Fabian Walter vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, ein Ko-Autor der Studie.
Dabei nutzten Bolatto und seine Kollegen für ihre Beobachtungen eine frühe Konfiguration von ALMA mit nur 16 Antennen. „Es ist aufregend, sich auszumalen, was uns die komplette Anlage mit ihren 66 Antennen über diese Art von Materieströmen einmal zeigen wird“, sagt Walter.
MPG / PH