Wenn's im Computer schneit
Mathematikern ist es gelungen, mit eigens dafür entwickelten Computermodellen einen Einblick in die Art und Weise zu gewinnen, wie Schneekristalle entstehen.
Schnee ist nicht gleich Schnee. Die wunderschönen Schneekristalle kommen in unzähligen Formenvor und kein Schneekristall gleicht dem anderen bis ins kleinste Detail. Zwar scheint sich die Formenvielfalt an gewisse Grundmuster zu halten – fast alle sind mehr oder weniger sechseckig – gerade aber die hochgradig verästelten Schneesterne sowie die komplexen Bedingungen, unter denen die unterschiedlichen Kristallarten entstehen, geben der Wissenschaft weiterhin Rätsel auf. Eines konnte nun von Forschern der Universität Regensburg und des Imperial College in London gelöst werden: Sie haben die Entstehung und das Wachstum von Schneekristallen mithilfe von speziellen Computermodellen auf der Basis von physikalischen Grundgleichungen simuliert. Dies war bislang nicht möglich.
Abb.: Links ein Schneekristall aus dem Computer und rechts das Foto eines echten Schneekristalls (Bild: J. W. Barrett et al. / K. G. Libbrecht, Caltech)
Welche Gestalt Schneekristalle am Ende haben, hängt von der Temperatur in der Luft und von der Luftfeuchtigkeit ab. Bei tiefen Temperaturen und niedriger Luftfeuchtigkeit entstehen keine außerordentlich spektakulären Formen. Zumeist bilden sich dann winzige sechseckige Säulen oder Plättchen. Steigt bei niedrigen Temperaturen aber die Luftfeuchtigkeit, so bilden sich Seitenarme, aus denen wieder Seitenarme herauswachsen – diese komplexen und verzweigten Muster nennt man Dendriten.
Dem Regensburger Mathematiker Harald Garcke und seinen Kollegen John Barrett und Robert Nürnberg vom Imperial College London ist es gelungen, eine Vielzahl natürlicher Schneekristallformen zu simulieren, darunter plättchenförmige Kristalle, Säulen und sogar Dendriten. Zudem erlauben die Computermodelle auch einen Einblick in die Art und Weise, wie die Kristalle entstehen. So sind jetzt beispielsweise Vorhersagen zur Geschwindigkeit möglich, mit der die Kristallspitze im Verhältnis zur Sättigung des gefrierenden Wasserdampfes wächst.
Die Formbildung von Schneekristallen zu untersuchen, hat viele ästhetische Aspekte, aber auf den ersten Blick nur wenig praktische Relevanz. Die Form eines Schneekristalls lässt jedoch Rückschlüsse auf die meteorologischen Bedingungen zu, unter denen sie entstanden und gewachsen sind. Schneekristalle werden so zu „Briefen aus dem Himmel“, wie sie der japanische Physiker Ukichiro Nakaya genannt hat.
Zudem spielt Kristallwachstum für viele weitere Anwendungsgebiete eine wichtige Rolle: Beispiele sind etwa das Wachsen von Kristallen in der Halbleitertechnologie und der Solarindustrie, oder aber die Erstarrung von klassischen Werkstoffen wie zum Beispiel Eisenlegierungen aus der Schmelze. Die Entwicklung neuer Verfahren in diesen Bereichen basiert gerade auch auf einem besseren Verständnis des Kristallwachstums.
U. Regensburg / OD