Wo Elektronen im Stau stehen
Physiker aus Würzburg und Kassel haben einen dünnen Draht aus purem Gold untersucht und festgestellt, dass sich Elektronen darin nicht frei bewegen, sondern wie Autos im "Stop-and-Go-Verkehr".
Im Normalfall wandern Elektronen, die Träger der elektrischen Ladung, kreuz und quer durch Metalle oder andere elektrisch leitende Materialien. Aber das ändert sich, wenn man die Leiter immer kleiner macht. Würzburger Physiker aus der Arbeitsgruppe von Ralph Claessen haben die Miniaturisierung auf die Spitze getrieben: Ihre Nanodrähte bestehen aus einzelnen Goldatomen, die kettenförmig angeordnet sind – kleiner geht es nicht. In Kooperation mit René Matzdorf an der Universität Kassel und Luc Patthey am Paul-Scherrer-Institut nahe Zürich haben sie die elektrischen Eigenschaften der Nanodrähte untersucht.
In den Nanodrähten sind die Elektronen so eingeengt, dass sie sich nur in eine Richtung bewegen können, nämlich entlang der Drähte. Und selbst dieses bisschen Freiheit können sie nicht voll ausnutzen. Sie kommen nur im Stop-and-Go-Verkehr voran – ähnlich wie im Stau auf der Autobahn, wenn den Fahrzeugen nur eine Spur zur Verfügung steht: Erst wenn ein Auto in der Schlange ein Stück fährt, kommen auch die anderen voran. Genau so sind die Bewegungen der Elektronen in einem Nanodraht korreliert. Dabei können sie nur ausgewählte Energien annehmen, was sich in der elektrischen Leitfähigkeit widerspiegelt.
In Nanodrähten aus Goldatomen können sich Elektronen nur in sehr engen Bahnen bewegen, so dass es zum Stau kommt. Veranschaulicht ist das hier durch den rot eingefärbten Draht. Rechts oben ist die Spitze eines Rastertunnelmikroskops dargestellt, mit dem Physiker die elektronischen Eigenschaften der Nanodrähte messen.
Bild: Christian Blumenstein
Den Wissenschaftlern gelang es mithilfe der Rastertunnelmikroskopie und der Photoemission, den Elektronenstau experimentell nachzuweisen. Damit konnten sie die ungewöhnlichen Zustände der Elektronen direkt abprüfen. Die Atomketten bieten erstmals die Möglichkeit, die Eigenschaften einer eindimensionalen Quantenflüssigkeit auszumessen. Von einer Quantenflüssigkeit sprechen Physiker, wenn die Elektronen in solch engen Bahnen eingesperrt sind. Die Eigenschaften dieser „Flüssigkeit“ haben Theoretiker schon in den 1960er-Jahren vorhergesagt. In Experimenten tatsächlich auch beobachtet wurden bislang aber nur wenige davon.
Atomarer Baukasten: Aus einzelnen Goldatomen formen sich automatisch Nanodrähte (links), die sich dann gezielt mit Brücken verbinden oder absichtlich stören lassen – zum Beispiel durch den Einbau anderer Atomsorten oder das Entfernen einzelner Goldatome aus den Ketten. Bild: Christian Blumenstein
Jahrzehnte hat es gedauert, diese besonderen Elektronenzustände experimentell in atomaren Nanostrukturen zu erzeugen. Das liegt vor allem daran, dass die bisher hergestellten Nanodrähte zu nah beieinander lagen und sich gegenseitig beeinflusst haben, sodass keine Quantenflüssigkeit entstehen konnte. Dieses Problem haben die Würzburger Physiker vor gut zwei Jahren behoben: In einem ausgeklügelten Verfahren dampfen sie Goldatome so auf Germanium-Plättchen auf, dass die Atome sich von ganz alleine zu geradlinigen, parallel verlaufenden Ketten anordnen, die weit genug voneinander entfernt sind.
Die Nanodrähte wollen die Physiker jetzt als atomaren Baukasten nutzen. Sie denken z. B. daran, zwischen den Drähten Kontakte aus einzelnen Atomen oder Molekülen einzubauen, was winzigen atomaren Schaltelementen entsprechen würde. So wollen sie auf dieser kleinstmöglichen Ebene weiteren elektronischen Phänomenen nachspüren. Ihre Erkenntnisse dürften für die rasch fortschreitende Miniaturisierung von elektronischen Bauelementen (z. B. für Computer) sehr wertvoll sein.
Uni Würzburg / MP