Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion steigt, doch kann auf regelbare Kraftwerke noch nicht verzichtet werden. (vgl. S. 33, Bild: Stefan Ouwenbroek / fotolia.com)
Physik Journal 12 / 2013
Meinung
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
Leserbriefe
High-Tech
Im Brennpunkt
Magische Zahlen in Kalzium
Das exotische Isotop Kalzium-54 zeigt eine neue magische Neutronenzahl.
Nobelpreise
Das Higgs-Teilchen und seine Väter
Für die Entdeckung eines Mechanismus‘ zur Massenerzeugung erhalten François Englert und Peter Higgs den Physik-Nobelpreis 2013.
Die Entdeckung des Higgs-Teilchens ist der bisherige Höhepunkt des vielleicht größten und langfristigsten Projekts der Grundlagenforschung. Es begann mit Enrico Fermi und seinem „Versuch einer Theorie der β-Strahlen“ 1934. Als großes strukturelles Problem dieser Theorie der schwachen Kernkraft stellte sich im Laufe der Jahrzehnte die Tatsache heraus, dass die nach ihm benannte Fermi-Kopplungskonstante nicht einfach eine Zahl ist, sondern die Einheit von 1/Masse2 hat.
Ein Jahr später stellte Hideki Yukawa die grundlegende Verbindung dieses Problems mit dem Higgs-Mechanismus und der Masse von Teilchen her mit seiner Arbeit „On the interaction of elementary particles“: Die schwache Kernkraft hat nur eine kurze Reichweite, die sich mit Hilfe von massiven Austauschteilchen erklären lässt, die wiederum für eine Kopplungskonstante mit Einheit 1/Masse2 verantwortlich sind. In diesem Sinne ist der Higgs-Mechanismus nicht in erster Linie für die Masse zum Beispiel des Tisches, auf dem dieser Artikel geschrieben wird, verantwortlich, sondern für die Größe von Atomkernen.
Mit masselosen Austauschteilchen beschäftigten sich seit den 1920er-Jahren viele Physiker. 1942 schlug Sin-Itiro Tomonaga eine mathematisch umfassend verstandene Quantentheorie der elektrischen Ladung, die Quantenelektrodynamik, vor. Unabhängig davon entwickelte Julian Schwinger 1948 dieselbe Theorie. Sowohl Fermis Theorie als auch die Quantenelektrodynamik waren experimentell außerordentlich erfolgreich, und aus heutiger Sicht war die offensichtliche Frage lediglich, wie man eine Version der Quantenelektrodynamik mit massiven Austauschteilchen konstruieren kann, um aus Fermis Theorie der schwachen Kermkräfte eine moderne Quantentheorie zu machen. Tatsächlich versuchte sich Sheldon Glashow, ein Student von Schwinger, im Jahr 1961 noch ohne durchschlagenden Erfolg an diesem Problem.
Zu diesem Zeitpunkt betreten Peter Higgs, Robert Brout und François Englert die Bühne. Die grundlegende Idee hinter dem Higgs-Mechanismus oder allgemeiner der sog. spontanen Symmetriebrechung ist sehr einfach: Wenn man zum Beispiel die Energieniveaus im Wasserstoffatom betrachtet, dann gibt es viele verschiedene Elektronenzustände mit identischen Energien, weil das Atom unter Rotationen im Raum symmetrisch ist. Bricht man diese Symmetrie von außen, zum Beispiel mit Hilfe eines starken Magnetfelds, so spalten diese Energieniveaus auf. Bei der spontanen Symmetriebrechung hingegen bricht in einem physikalischen System nicht eine bestimmte Wechselwirkung die Symmetrie; das System nimmt aus welchem Grund auch immer einen Zustand an, der eben nicht symmetrisch ist. Der Higgs-Mechanismus geht noch einen Schritt weiter, indem er postuliert, dass das ganze Universum in einem nicht symmetrischen Vakuum-Zustand existiert, von dem wir aber nicht wissen, wie und warum dieser zustande gekommen ist. Wenn eine symmetrische Welt nur masselose Teilchen erlaubt, dann haben diese Teilchen in einer gebrochen symmetrischen Welt Massen. Kurz nach dem Urknall mag das Vakuum noch symmetrisch gewesen sein, aber heute sehen wir nur eine reduzierte Symmetriestruktur mit massiven Austauschteilchen der schwachen Kernkraft. ...
Forum
Zuwachs für die Physik
Die Physik nimmt die DFG-Förderung erfolgreich in Anspruch.
In einem Meinungsbeitrag hat Erwin Frey kürzlich die Probleme der Fachkollegien der Deutschen Forschungsgemeinschaft geschildert, bei zunehmendem Antragsdruck und begrenzten Mitteln die richtigen Förderentscheidungen zu treffen. Im Sinne der Transparenz sollen im Folgenden einige konkrete Zahlen die Entwicklung der Physikförderung in den letzten Jahren verdeutlichen.
Die DFG ist der zentrale Ansprechpartner für die Förderung der Grundlagenforschung an den deutschen Universitäten quer über alle Fächer. In der Gesamtsicht war die Physik 2012 mit einer Fördersumme von etwa 168 Millionen Euro (alle Angaben ohne Programmpauschale) der stärkste der vier naturwissenschaftlichen Bereiche (Physik, Chemie, Mathematik und Geowissenschaften). Diese Summe entspricht etwa zehn Prozent des Gesamtfördervolumens für Einzelförderung und koordinierte Programme (ohne Exzellenzinitiative), ein Anteil, der seit vielen Jahren relativ konstant ist.
Die Physik nutzt das gesamte DFG-Programmportfolio sehr aktiv. In koordinierten Programmen wie Sonderforschungsbereichen und zunehmend auch bei Graduiertenkollegs ist die Physik überdurchschnittlich aktiv. Zurzeit fördert die DFG mit Schwerpunkt in der Physik 36 Sonderforschungsbereiche bzw. Transregios und 19 Graduiertenkollegs, an weiteren ist die Physik beteiligt. Damit wirbt die Physik 48 Prozent ihrer Mittel über diese koordinierten Programme ein, der Fächer-Durchschnitt liegt bei 35 Prozent. Betrachtet man die Bewilligungssummen in der Physik von 2004 bis 2012, so zeigt sich insgesamt ein Zuwachs für jede Programmgruppe (Abb.).
Forschergruppen sind die „kleinste“, gleichzeitig aber auch flexibelste Form von koordinierten Programmen. Hier können sich die besten Köpfe in einem Themenfeld ohne strukturelle Vorgaben zusammenfinden, um gemeinsam die Forschungsinhalte voranzubringen. Forschergruppen werden aus dem Finanztopf für das Einzelverfahren gespeist. Wegen ihres besonderen Charakters und ihrer hohen Attraktivität sind sie in der Abbildung getrennt ausgewiesen. Im Entscheidungsprozess stehen sie in voller Konkurrenz des Einzelverfahrens. Die Fachkollegien müssen entscheiden, ob der durch die Zusammenarbeit zwischen den Teilprojekten zu erwartende wissenschaftliche Mehrwert es rechtfertigt, die notwendigen Mittel für die Laufzeit von sechs Jahren zu binden, denn die entsprechende Summe steht dann nicht mehr für andere Einzelprojekte zur Verfügung.
Für Schwerpunktprogramme legt der Senat der DFG jährlich ein Gesamtfinanzvolumen fest und entscheidet in diesem Rahmen über die Einrichtung neuer Schwerpunkte aus einer Vielzahl von Skizzen aus allen Wissenschaftsbereichen, die in freier Konkurrenz zueinander stehen, ohne Vorgaben zu Fächeranteilen. Auch in diesem Programm gelingt es der Physik regelmäßig, sich mit attraktiven Themen durchzusetzen, sodass über die letzten Jahre jeweils ein bis drei neue Programme eingerichtet wurden.
Überblick
Energiewende – quo vadis?
Die vielen Facetten und Herausforderungen eines ehrgeizigen Jahrhundertprojekts.
Die Energiewende ist ein tiefgreifendes, auf die Zukunft gerichtetes nationales Experiment – mit erstaunlichen Erfolgen und langfristig unverzichtbaren Zielen, zugleich aber noch mit überraschenden und nahezu unauflösbaren Widersprüchen. Dabei herrscht ein verwirrendes Durcheinander kontroverser Standpunkte und Argumentationsebenen. Wer die Energiewende verstehen will, darf nicht nur eine einzige der zahlreichen Facetten betrachten, sondern muss sich vor allem auch um ein Gesamtbild und die sich dabei eröffnenden positiven Synergien bemühen.
Die wissenschaftlich-technischen Herausforderungen der Energiewende sind weitgefächert. Schlagworte sind: Elektromobilität, Wasserstoffwirtschaft, Versorgungssicherheit und Stabilität des europäischen Netzes, flexible Reservekraftwerke, weitreichende Hochspannungs-Gleichstromverbindungen, Stromspeicherung für kurze und lange Zeiträume, Smart Homes, intelligente Detailsteuerung der Nutzer und der vielfältigen Erzeuger, Stromumwandlung zu Wärme, Strom zu Treibstoff, Desertec-Strom aus der Sahara etc. Das alles gilt es intensiv zu erforschen, zu testen und zu bewerten. Noch ist offen, inwieweit dieses komplizierte Zusammenspiel einen weitgehenden Verzicht auf fossile Brennstoffe und auf Kernenergie ermöglichen kann. Dabei gilt es, die erstaunlichen Dimensionen einer notwendigen, sehr weitgehenden technischen Umstellung zu berücksichtigen. Selbst mit einem Aufwand, der „nur täglich einer Kugel Eis pro Person“ entspricht (rund 20 Milliarden Euro pro Jahr), wird diese neue „Industrielle Revolution“ nicht zu bewältigen sein.
Neben der wissenschaftlich-technischen Dimension, auf die wir uns hier konzentrieren möchten, ergibt sich eine Fülle von gesellschaftlich-politischen, ökonomischen und ökologischen Konflikten, wobei die Interessen von Parteien, Verbänden und Lobbygruppen oft eine dominierende Rolle spielen. Uns erscheinen viele der diskutierten Fragen nur als die „Spitze eines Eisbergs“ von grundlegenden, zum Teil ungelösten system- und energietechnischen Problemen, die sich zukünftig immer schärfer zeigen werden. Sie sind vor allem begründet in der Zunahme von schwankender und nicht bedarfsorientierter Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (EE). Wir stehen vor der Herausforderung, mit Hilfe neuer Techniken, großer Speicher und steuerbarer Stromabnehmer die zukünftigen, sehr großen Überschüsse an EE-Strom wirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. Kann man die aufstrebende Elektromobilität sowie die Wasserstofftechnologien effizient in diesen Prozess einbinden? Und wie können „konventionelle“ Kraftwerke, insbesondere Gaskraftwerke, in einem marktwirtschaftlichen Modell erhalten bleiben, um die besonders im Winter auftretenden wochenlangen Produktionslücken bei Solar- und Windenergie zu überbrücken? ...
Farbdynamik auf dem Gitter
Eine Standortbestimmung für die Gitter-Quantenchromodynamik
Seit vierzig Jahren kennen wir mit der Quantenchromodynamik (QCD) die Theorie der starken Kraft, bei der die traditionelle Störungstheorie für zentrale Probleme versagt. Fast ebenso alt ist der bahnbrechende Ansatz des Nobelpreisträgers Kenneth Wilson, die Theorie auf einem Raum-Zeit-Gitter zu betrachten und einen Zusammenhang mit der statistischen Physik auszunutzen, um Rechnungen durchzuführen. Trotz des enormen Aufwands erlaubt die Gitter-QCD inzwischen quantitative Vorhersagen.
Die Erforschung der fundamentalen Bausteine der Materie und ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Universums ist eines der faszinierendsten Kapitel der aktuellen physikalischen Grundlagenforschung. Die im vergangenen Jahr vermeldete Entdeckung des Higgs-Teilchens am CERN hat die Gültigkeit des Standardmodells der Elementarteilchenphysik eindrucksvoll und mit großer Präzision aufs Neue bestätigt. Die Teilchenphysik wendet sich nun verstärkt der Frage zu, welche „neue Physik“ jenseits des Standardmodells zu erwarten ist. Einige traditionelle Themen wie die Untersuchung der inneren Struktur des Protons oder des Massenspektrums von Hadronen scheinen dabei − zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung − in den Hintergrund zu treten. Dies ist die Domäne der starken Wechselwirkung, die neben der elektromagnetischen und schwachen Wechselwirkung zu den drei Grundkräften des Standardmodells gehört. Die starke Wechselwirkung vermittelt die Kräfte zwischen den Konstituenten des Protons − den Quarks – und ist außerdem für den Zusammenhalt der Atomkerne verantwortlich. Die zugehörige Eichtheorie ist die Quantenchromodynamik (QCD). Versuchen wir jedoch traditionelle Lösungsverfahren wie die in der Quantenelektrodynamik so erfolgreiche Störungstheorie auf die QCD anzuwenden, so zeigt sich, dass diese Verfahren bei vielen Phänomenen völlig versagen. Dies gilt auch für die quantitative Berechnung von solchen Teilchenzerfällen, die Aufschluss über mögliche Abweichungen vom Standardmodell liefern sollen.
Der spätere Nobelpreisträger (und unlängst verstorbene) Kenneth Wilson schlug bereits 1974 eine nicht-perturbative Lösungsmethode vor. Er hatte die Idee, die Theorie auf einem diskreten Raum-Zeit-Gitter zu formulieren und eine Verbindung zu den Methoden der statistischen Physik herzustellen. Große Anstrengungen über viele Jahre waren jedoch nötig, um das Instrument der Gitter-QCD so zu verfeinern, dass damit quantitative Vorhersagen über die Eigenschaften hadronischer Materie möglich wurden. ...
Bildung - Beruf
Arbeitsmarkt für Physikerinnen und Physiker
Statistiken und Analysen für das Jahr 2013
Der Arbeitsmarkt für Physiker und Physikerinnen hat sich im Jahr 2013 leicht verschlechtert. Die Anzahl der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen hat sich gegenüber dem Vorjahr deutlich verringert und die Zahl der gemeldeten Arbeitssuchenden ist leicht angestiegen. Der schon in den letzten Jahren beobachtete (statistische) Anstieg von jungen Stellensuchenden hat sich weiter fortgesetzt.
Der Arbeitsmarkt für Physikerinnen und Physiker reagiert auf die anhaltend schwierige wirtschaftliche Konjunktur. Die Daten der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen für das Jahr 2013 (betrachtet wurde der Zeitraum zwischen Oktober 2012 und September 2013) einen starken Rückgang der offenen gemeldeten Stellen, und zwar um ca. 30 % (Abb. 1) [1]. Nach Jahren des Anstiegs zeigt sich hierin eine deutliche Zurückhaltung der Industrie bei der Besetzung neuer Stellen. Die Zahl der Angebote ist sogar niedriger als direkt nach der Finanzkrise im Jahr 2009.
Wie immer sind die Werte nur relativ zu denen im Jahr 2006 angegeben, da nur ein sehr kleiner Teil der zu besetzenden Stellen (weniger als 10 %) der BA überhaupt gemeldet wird und damit die Zahl der Stellen für Physikerinnen und Physiker in Wirklichkeit um ein Vielfaches höher ist als die Statistik ausweist [2]. Die meisten Stellen werden anderweitig besetzt und erscheinen daher nicht in der Statistik [3]. Daher darf man die gemeldeten Zahlen nicht überbewerten.
Dennoch erkennt man aus der Verteilung der offenen Stellen auf die unterschiedlichen Branchen einen klaren zeitlichen Trend, dass nämlich die produktionsnahen Stellen kontinuierlich weniger nachgefragt sind: Während die Stellen in der Grundlagenforschung relativ wenig betroffen sind, verstärkt sich der Rückgang bei den Angeboten der Industrie in F&E und im produzierenden Gewerbe und erreicht bei den Zeitarbeitsstellen einen Rückgang von fast 70 %. Diese abgestufte Reaktion hat schon im letzten Jahr begonnen und liegt im gegenwärtigen konjunkturellen Zyklus. ...