Elektronische Mikrosysteme verbessern Diagnose und Rehabilitation in der Augenheilkunde. (Bild: Fotolia / ra2_studio, vgl. S. 33)
Physik Journal 5 / 2016
Grußwort
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
High-Tech
Im Brennpunkt
Elektronen im Fluss
In Graphen können Elektronen auch hydrodynamisches Verhalten zeigen.
Die nächste Stufe der Beschleunigung
Zwei kompakte Plasmabeschleuniger erreichen mit der richtigen Kopplung höhere Elektronenenergien.
DPG
Vom CERN an die Spitze der DPG
Am 5. April fand in Berlin die Amtsübergabe des DPG-Präsidenten statt.
Überblick
Sie messen, was sie heiß macht
Magnetische Mikrokalorimeter etablieren sich als neue Schlüsseltechnologie.
Das extrem hohe Auflösungsvermögen magnetischer Kalorimeter sowie ihre universelle Anwendbarkeit für Strahlung und Materie machen sie zu einzigartigen Werkzeugen in unterschiedlichsten Präzisionsexperimenten. Auf zahlreichen Gebieten, die von der Neutrinophysik über die Röntgenspektroskopie bis zur nuklearen Forensik reichen, gelang es bereits, ihr vielversprechendes Potenzial unter Beweis zu stellen.
Die Entwicklung bolometrischer und kalorimetrischer Tieftemperaturdetektoren ist seit jeher durch ein breites Spektrum an Anwendungen in der Grundlagenforschung motiviert: die Vermessung der kosmischen Hintergrundstrahlung, der direkte Nachweis Dunkler Materie, die Messung des Sonnenneutrinospektrums, die Röntgenastronomie und viele andere. Die daraus resultierende Detektortechnologie hat inzwischen in vielen Gebieten Einzug gehalten. Sie erobert zudem immer weitere Anwendungsfelder wie die Atom- und Schwerionenphysik, die nukleare Forensik, die Materialanalyse oder die Radiometrologie. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass die Ära der kryogenen Mikrokalorimeter begonnen hat. Für bestimmte Experimente stellen sie heute eine Schlüsseltechnologie dar, da sie diverse Messungen überhaupt erst ermöglichen.
Mikrokalorimeter für die hochauflösende Röntgenspektroskopie schließen heute auf beeindruckende Weise die große Lücke zwischen Kristallspektrometern, die zwar ein exzellentes Auflösungsvermögen besitzen, aber auf einen kleinen Wellenlängenbereich eingeschränkt sind, und breitbandigen Ionisationsdetektoren, deren Auflösungsvermögen deutlich schlechter ist. Die derzeit führenden Mikrokalorimeter verwenden Temperatursensoren auf der Basis von supraleitenden Phasenübergangssensoren (TES), hochdotierten Halbleiter-Thermistoren (NTD) und metallischen Paramagneten (MMC) [1]. Die maßgeblich am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg vorangetriebenen magnetischen Kalorimeter (MMC) zeichnen sich gegenüber TES- und NTD-basierten Detektoren insbesondere durch die einzigartige Kombination aus hoher Energieauflösung, kurzer Signalanstiegszeit und exzellenter Linearität aus. Des Weiteren stellt die zuverlässige Modellierbarkeit der Sensoreigenschaften und die damit verbundene Möglichkeit der analytischen Optimierung einen entscheidenden Vorteil dar, um Detektoren für verschiedenste Teilchensorten und Energiebereiche zu entwickeln. Um die notwendigen Betriebstemperaturen von unter 50 mK zu erreichen, kommen trockene 3He/4He-Verdünnungskryostate zum Einsatz, die sich ohne kryogene Flüssigkeiten vollautomatisiert quasi als Ein-Knopf-System betreiben lassen. ...
Mikrosysteme ins Auge gefasst
Winzige elektronische Systeme verbessern Diagnose und Rehabilitation in der Augenheilkunde.
Die Möglichkeit, komplexe elektronische Systeme zu miniaturisieren, hat in der Augenheilkunde zu neuartigen Verfahren geführt. So ist es möglich, den Augeninnendruck kontinuierlich zu messen oder biochemische Daten wie den Blutzucker zu ermitteln. Die technische, elektrische Stimulation von Zellen der Netzhaut erlaubt es, eine Erblindung zu vermeiden oder ein beschränktes Maß an Sehvermögen wiederherzustellen. Allerdings sind die Herausforderungen an Materialien und Fertigungstechniken für Medizinprodukte am und im Auge sehr hoch.
Sehen, hören, begreifen – nicht nur im Alltag erleben wir immer wieder, wie wichtig unsere Sinne sind und wie unsicher wir werden, wenn wir beispielsweise nichts sehen können. Auch in Religion und Strafgeschichte, Literatur und Film gibt es unglaubliche Geschichten, die uns anrühren und zum Staunen bringen. Zwischen dem Historienroman „Der Medicus“ von Noah Gordon und der Science Fiction Saga „Star Trek“ liegen mehr als tausend Jahre – die Beschreibung des Starstechens im Mittelalter und die Sehprothese von Jordi LaForge faszinieren jedoch gleichermaßen. Technische Hilfsmittel kommen schon seit Jahrhunderten in der Augenheilkunde zum Einsatz – Miniaturisierung und Elektrisierung haben in jüngster Vergangenheit zu großen Fortschritten und neuen Möglichkeiten geführt. Die Mikrosystemtechnik ist eine Schlüsseltechnologie für komplexe Systeme mit kleinsten Abmessungen. Welche Möglichkeiten sich hieraus für die Diagnose, Therapie und Rehabilitation von Erkrankungen des Auges bzw. des kompletten Sehsystems ergeben, erklären die folgenden Beispiele, die entweder schon als Medizinprodukt auf dem Markt verfügbar sind oder sich momentan in klinischen Studien für eine Zulassung befinden.
Zielsetzung der Medizin ist es, Krankheiten zu erkennen (Diagnostik), zu behandeln (Therapie) oder Funktionen zumindest teilweise zu ersetzen, wenn eine Heilung nicht möglich ist (Rehabilitation). Mediziner setzen in der Diagnose technische Hilfsmittel ein, um diejenigen physikalischen oder biochemischen Größen am oder im Körper zu messen, mit denen sich die jeweilige Organfunktion oder eine Abweichung vom Normalzustand am besten beschreiben lässt. Im Falle einer Therapie unterstützt die Technik beispielsweise eine Medikamentenabgabe oder stimuliert Nervenzellen elektrisch. Dabei bestimmen das biologische Zielorgan und die Erkrankung, welche Messgröße bekannt sein muss, an welcher Stelle das medizintechnische System anzuwenden ist und wie eine Wechselwirkung mit dem Zielorgan auszusehen hat. Gerade in der Augenheilkunde ist der Raum, den ein technisches System einnehmen darf, sehr begrenzt. Erst die Miniaturisierung ermöglicht daher Systeme, die klein genug sind, um sie am oder im Auge mit möglichst geringen Nebenwirkungen einzusetzen. ...
Geschichte
Der Quantenhimmel voller Geigen
Quantentheorie in der Sprache der Himmelsmechanik – Karl Schwarzschilds letzte Arbeit
Vor hundert Jahren, am 11. Mai 1916, starb Karl Schwarzschild. Begriffe wie „Schwarzschild-Metrik“ oder „Schwarzschild-Radius“ erinnern an ihn als Pionier der modernen Gravitationsphysik. Weniger bekannt ist sein Beitrag „Zur Quantenhypothese“, so der Titel seiner letzten Arbeit. Arnold Sommerfeld nannte Schwarzschild einen „Pfadfinder“ auf diesem im Jahr 1916 „noch reichlich dunklen Gebiete“.
Im November 1915 fand Albert Einstein die endgültige Form seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Einen Monat später präsentierte Karl Schwarzschild bereits eine exakte Lösung der Feldgleichungen für ein kugelförmiges Gebilde, das man später Schwarzes Loch nannte. Zum 100. Geburtstag der Allgemeinen Relativitätstheorie kam neben Einstein auch Schwarzschild als Pionier der modernen Gravitationsphysik zu Ehren [1]. Vor genau hundert Jahren leistete er mit seiner letzten Veröffentlichung einen entscheidenden Beitrag zur Atom- und Quantentheorie.
Karl Schwarzschild kam am 9. Oktober 1873 in Frankfurt am Main zur Welt [2]. Er zeigte schon früh eine große technische und mathematische Begabung. Mit einem Rohr aus zusammengerollten Zeitungen, das er im Innern schwärzte, bastelte er ein Teleskop, um damit seinen Geschwistern die Saturnringe zu zeigen. Als 16-jähriger Schüler verfasste er eine Arbeit über die Bahnbestimmung von Himmelskörpern und schickte sie an die Astronomischen Nachrichten. Sie wurde veröffentlicht – und in der Familie voller Stolz immer wieder vorgelesen, obwohl niemand außer Karl auch nur ein Wort davon verstand, wie sich sein Bruder erinnerte. Als er im Mathematikunterricht einmal seine Logarithmentafeln vergessen hatte, behalf er sich damit, die benötigten Werte aus einer Reihenentwicklung selbst zu berechnen. Nach dem Abitur zog er 1891 nach Straßburg, um dort Astronomie zu studieren. ...