Elastische Spektrinfasern sind im Inneren einer roten Blutzelle mit der Zellmembran verbunden. (vgl. S. 29; Bild: Copyright © 2016 IlluScientia)
Physik Journal 2 / 2018
Meinung
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
USA
Laser-Wettlauf / Votum für ITER / Neue Struktur für das DOE / Und die Finalisten sind…
Leserbriefe
High-Tech
Im Brennpunkt
Moleküle mit Charakter
In einem ultrakalten Gas aus Rubidium-Atomen gelang es, den Molekülzustand nach einer Dreikörper-Rekombination detailliert zu bestimmen.
Forum
Beratung auf hoher Ebene
Interview mit Rolf-Dieter Heuer, dem derzeitigen Vorsitzenden der European High Level Group
Im November 2015 hat die Europäische Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker mit dem Scientific Advice Mechanism eine neue Beratungsstruktur für ihre Forschungspolitik installiert. An der Spitze steht eine „High Level Group“ aus bis zu sieben renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter DPG-Präsident Rolf-Dieter Heuer, der dem Gremium derzeit vorsteht.
Wie wurden die Mitglieder der Gruppe ausgewählt?
Fachgesellschaften, Forschungsorganisationen und Wissenschaftsakademien waren aufgerufen, Kandidaten zu nominieren. Eine Gruppe von drei Personen, darunter der ehemalige britische Wissenschaftsberater Sir David King, hat aus allen Vorschlägen eine kurze Liste von Personen erstellt, die zu einem Interview eingeladen wurden. Nach den Gesprächen wurden die zunächst sieben Mitglieder der High Level Group ausgesucht und eine Reserveliste erstellt.
Wieso wurde eine solche Gruppe überhaupt eingerichtet?
José Manuel Barroso hat sich zu seiner Zeit als Präsident der Europäischen Kommission durch Anne Glover wissenschaftlich beraten lassen. Dieses Amt hat Jean-Claude Juncker abgeschafft, woraufhin die Europäische Kommission zur Beratung den Scientific Advice Mechanism eingerichtet hat. Dieses Gremium hat einen viel größeren Mitarbeiterstab als vorher und beruht auf einer Basis von 15 bis 20 Personen, die bei der Europäischen Kommission angestellt sind. Darunter auch Wissenschaftler. Auf dieser Basis stehen zwei Säulen...
Überblick
Transport ohne Ladung
Experimente mit kalten Gasen zeigen wichtige Phänomene der Festkörperphysik und unerwartete Effekte.
Transport von Materie, Ladung und Energie ist einerseits Schlüssel zum Verständnis von fast allen zentralen Vorgängen in der Natur und andererseits Grundlage für viele Technologien. Daher überrascht es nicht, dass Materialien in der Physik oft nach ihren Transporteigenschaften eingeteilt sind, beispielsweise in Leiter, Halbleiter und Isolatoren. Erst seit kurzem ist es möglich, Transportmessungen mit genau kontrollierbaren Quantensimulatoren durchzuführen. Dabei traten überraschende Vielteilcheneffekte auf.
Transportmessungen haben immer wieder zur Entdeckung unerwarteter Materieeigenschaften beigetragen, z. B. der Supraleitung oder des (fraktionierten) Quanten-Hall-Effekts, und dabei Einblicke in die Quantenphysik von Vielteilchensystemen geliefert. Bei diesen Experimenten entsteht das Signal – im einfachsten Fall der Nettostrom zwischen zwei Teilchenreservoiren – durch leicht unterschiedliche Besetzung der Energiezustände in den Reservoiren. Zudem werden bei fermionischen Systemen genau diejenigen Zustände, die zum Transport beitragen, am stärksten durch Wechselwirkungen beeinflusst.
Schon seit geraumer Zeit dienen kalte Atome dazu, idealisierte Modelle der Festkörperphysik experimentell zu realisieren und deren Eigenschaften auf den Grund zu gehen. Dazu werden sie in einer Atomfalle gefangen und in das quantenentartete Regime gekühlt. Die Rolle der Elektronen übernehmen solche Atomisotope, die der fermionischen Quantenstatistik folgen. Die kurzreichweitige Stoßwechselwirkung zwischen den Atomen spielt die Rolle der Coulomb-Wechselwirkung, die in vielen Modellen ebenfalls nur kurzreichweitig eingeht, um Abschirmeffekten Rechnung zu tragen. Mittlerweile lassen sich mit kalten Atomen viele Materiezustände erzeugen und mit Einzelatom-Auflösung untersuchen [1]...
Gut geschüttelt, nicht gerührt
Molekulare Motoren stoßen die Bestandteile lebender Zellen ständig aktiv an. Dadurch scheinen Zellen die Mobilität ihrer Einzelteile zu erhöhen, indem sie diese kontinuierlich durchschütteln.
In unserem Körper bewegen sich rote Blutzellen durch feinste Adern, deren Durchmesser wesentlich kleiner sind als die Zellen. Dazu müssen die Zellen ihre Form aktiv anpassen, was ihnen eine sehr weiche, elastische Zellmembran erlaubt. Diese unterliegt kontinuierlichen Fluktuationen, die sowohl durch rein thermische als auch aktiv metabolische Anregung entstehen. Wenn es gelingt, beide Anteile experimentell zu trennen und die aktive Bewegung im Detail zu verstehen, lässt sich damit vielleicht die Physik aktiver biologischer Motoren verstehen und so der Weg zu mikroskopisch kleinen Antrieben ebnen.
Spontane, zufällig erscheinende Fluktuationen spielen im Alltag nur bei Börse, Wetter oder Lotto eine Rolle. In der mikroskopischen Welt dagegen dominieren Fluktuationen. Mikroskopische Teilchen führen spontane Tänze auf, die Robert Brown schon vor etwa 200 Jahren beschrieben hat [1]. Überträgt man dieses Verhalten auf den Alltag, würde ein Cocktailschirmchen spontan im Martiniglas herumspringen. Erst Einsteins Arbeit zur Brownschen Molekularbewegung führte die spontanen Fluktuationen mikroskopischer Teilchen mit der thermischen Anregung zusammen und verknüpfte Diffusion, thermische Energie und Mobilität bzw. Dissipation miteinander [2]. Diese Einsteinsche Relation erklärt, warum sich das Cocktailschirmchen üblicherweise nicht spontan bewegt, ein Mikroschirm in einem Mikroglas aber durchaus. Um ein Mikroschirmchen zu bewegen, ist eine Energie in der Größenordnung der thermischen Energie kBT erforderlich. Beim makroskopischen Schirm ist sie etwa 15 Größenordnungen höher. Das erklärt auch, warum ein klassischer Verbrennungs- oder Elektromotor nicht als Nanomaschine möglich ist und nicht bei Raumtemperatur laufen kann. Die Natur betreibt aber sehr robust Maschinen auf molekularer Skala. Unzählige molekulare Motoren in unserem Körper lassen unser Herz schlagen und ermöglichen es den Augen, diesem Text zu folgen [3].
Molekulare Motoren sind spezielle Proteine, welche die chemische Energie der Hydrolyse eines ATP-Moleküls nutzen, um ihre Form so zu ändern, dass sie sich zyklisch und in nanometerkleinen Schritten fortbewegen. Sie funktionieren sehr verlässlich, obgleich auch sie durch thermisch bedingte Fluktuationen kontinuierlich durchgeschüttelt werden. Biologische Zellen nutzen die molekularen Motoren nicht nur, um gegen thermische Fluktuationen anzukämpfen, sondern auch, um beispielsweise den Transport von Körperflüssigkeiten gegen die Diffusion zu ermöglichen und Zugkräfte in Muskeln zu koordinieren. Die Motoren selber erzeugen aktiv zufällige Fluktuationen, welche die spontane Bewegung von intrazellulären Teilchen zusätzlich zu ihren thermischen Fluktuationen beeinflusst. Diese aktiven Fluktuationen sind die logische Konsequenz der großen Anzahl unkorrelierter Kraftstöße im Zellinneren, welche die ständig arbeitenden molekularen Motoren erzeugen. Aus ihnen resultieren völlig zufällige Bewegungen, genau wie bei thermischen Fluktuationen. Daher wurde die aktive Komponente lange Zeit übersehen, und die spontanen Bewegungen intrazellulärer Teilchen wurden allein thermischen Fluktuationen zugeschrieben. Allein die Gleichgewichts-Thermodynamik diente dazu, die Mechanik zellulärer Prozesse zu beschreiben. Durch das Vernachlässigen der aktiven Komponente der Bewegungen kam es zu einer großen Anzahl fundamental falscher Schlussfolgerungen, wie neuere Forschungen zeigen...
Bildung - Beruf
Porträt: „Man schafft etwas von Dauer.“
Nach dem Physikdiplom schloss Andreas Philipp eine Ausbildung zum Glockensachverständigen an.
Andreas Philipp, der 1990 sein Physik-Diplom gemacht hat, ist nicht in einem typischen Physikerberuf zuhause. Stattdessen besteigt er regelmäßig Glockentürme und prüft die Glocken, Klöppel und Läuteanlagen auf Klang und ihren allgemeinen Zustand. Seit 20 Jahren sorgt er als Glockensachverständiger in Niedersachsen für wohlklingendes Kirchengeläut.
Wie sind Sie zu den Glocken gekommen?
Ich bin schon als Kind immer gern beim Einläuten des Sonntags dabei gewesen. Als Jugendlicher habe ich angefangen, Daten über die Glocken bei den Pfarrämtern anzufragen – allerdings mit durchwachsener Ausbeute. Viele sind nicht gut über ihre Glocken informiert. Daraufhin bin ich selbst in die Türme gestiegen und habe die Archive durchwühlt. Insofern habe ich mich schon vor dem Physikstudium mit Glocken beschäftigt.
Und wieso dann das Physikstudium?
Das Fach fand ich in der Schule immer spannend. Das Interesse an den Glocken habe ich aber nie verloren. Nach dem Studium habe ich daher eine Ausbildung zum Glockensachverständigen angeschlossen.
Was lernt man dabei?
Alles rund um die Glocke, die Technik von Läuteanlagen und die Stabilität von Glockentürmen. Der wissenschaftliche Teil, die Glockenkunde, umfasst auch die Musik und die Inschriftenkunde. Um das musikalische Rüstzeug zu lernen, hatte ich damals Kurse an der Kirchenmusikhochschule in Heidelberg.