Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918-1945
Hirsch-Heisenberg
A. M. Hirsch-Heisenberg (Hrsg.)
Werner Heisenberg - Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918-1945
Langen Müller, München 2003.
400 S., 37 Abb., Geb., ISBN 3-7844-2900-9
Eine Möglichkeit, einer Person näher zu kommen, sind private Briefwechsel, die aber zumeist schwerer zugänglich sind als wissenschaftliche oder administrative und die auf den ersten Blick vieles enthalten, das mit der 'eigentlichen Sache' (sprich Entwicklung der Wissenschaft und ihrem Umfeld) wenig zu tun hat - und deshalb oft auch als weniger ergiebig angesehen werden. Wie wichtig aber die in solchen Briefen eher aufscheinende 'Persönlichkeit dahinter' ist, zeigt sich gerade bei Werner Heisenberg musterbeispielhaft, zumal die Diskussionen um seine Rolle in der deutschen Wissenschaft des 20. Jahrhunderts - erneut angefacht durch Michael Frayns Theaterstück 'Kopenhagen' - nicht abreißen.
Die älteste Tochter Heisenbergs legt nun eine Auswahl von etwas mehr als 400 Briefen und Postkarten aus einem im Familienbesitz befindlichen - derzeit im MPI für Physik in München deponierten - Konvolut von mehr als 700 Stück an seine Eltern (bzw. nach des Vaters Tod allein an die Mutter) vor; sie konnten allerdings zuvor schon von Wissenschaftshistorikern genutzt werden. Heisenberg schrieb regelmäßig an Mutter und Vater - man kann sagen im Prinzip fast jede Woche; es liegen keine Gegenbriefe vor.
Naturgemäß ist kaum etwas über Physik zu finden und auch über das tägliche Leben häufig eher Belangloses. Dennoch ergibt sich für den aufmerksamen Leser nicht nur ein interessantes Persönlichkeitsbild - wenn auch stark fokussiert auf die Eltern-Sohn-Beziehung - sondern daneben so manche Andeutung auf das allgemeine wissenschaftliche Leben Heisenbergs oder auf seine Sicht auf das Zeitgeschehen.
Aufschlussreich ist eine Prioritätensetzung des jugendlichen Heisenberg, die offensichtlich auch für den späteren Heisenberg bestimmend blieb: an erster Stelle die Eltern (bzw. Familie), dann seine bayerischen Berge und seine Pfadfindergruppe, dann die Musik und schließlich an vierter Stelle die Physik (S. 113, Brief vom 15. 11. 1926). Wenn man die Reihenfolge wahrlich nicht überbewerten sollte, so ist ihre Auswahl doch interessant und macht deutlich, woran Heisenberg viele seiner Lebensentscheidungen ausrichtete. Liest man die Briefe hintereinander, kann man sich des Gesamteindrucks nicht erwehren, dass er ein wenig dazu neigte, über fehlende Zeit zu klagen und dass es mit der Arbeit nicht recht voran gehe sowie über seine gesundheitlichen Probleme (u. a. seine Heuschnupfenplage). Laufende Begeisterung äußerte er eigentlich nur über Musik - sowohl als eigene Beschäftigung als auch nach besuchten Konzerten. Doch hier ist nicht der Ort, die Persönlichkeit Heisenbergs im Detail zu schildern.
Die Briefe sind jahrgangsmäßig geordnet, jeweils eingeleitet durch eine kurze Übersicht über die wichtigsten Ereignisse in Heisenbergs Leben. Die Briefe selbst bleiben unkommentiert. Doch wäre ein wenig mehr editorischer Aufwand wünschenswert gewesen, damit auch der Leser, der mit Heisenbergs Biografie weniger vertraut ist, größeren Nutzen aus dieser Briefsammlung ziehen könnte. Auch ist bei so manchem 'Druckfehler' nicht ganz klar, ob er schon bei Heisenberg so steht oder erst jetzt hineingekommen ist. In einem 45-seitigen Nachwort steuert die Herausgeberin dann noch sehr lesenswerte eigene Erinnerungen an den Vater bei, wodurch der Zeithorizont noch über das Jahr 1945, in dem die Mutter starb und damit die Briefe enden, hinausgeschoben wird.
Jedem, der daran interessiert ist, der Persönlichkeit Werner Heisenbergs etwas näher zu kommen, ist die Lektüre dieser Briefausgabe zu empfehlen, die eine wichtige Facette zu seinem Gesamtbild beisteuert.
Dr. Horst Kant, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin