Physik

Den Gerthsen gibt es seit 1948 in einer Serie von mittlerweile 22 Auflagen. Er erhebt den hohen Anspruch, die gesamte Physik in einem Band zu behandeln. Das gelingt erstaunlich gut. Die Themen reichen von der Mechanik der Massenpunkte über die klassischen Gebiete der modernen Physik bis zur Bose-Einstein-Kondensation. Es gibt kaum einen Themenbereich der klassischen und modernen Physik, der nicht dargestellt wird. Die Vielfalt führt zu einer entsprechenden Kürze. Das macht sich besonders in der zweiten Hälfte bemerkbar, die eine vernünftige und nützliche Orientierung in der modernen Physik bietet, für eine gründliche Erarbeitung einzelner Themen aber nicht hinreichen kann.

Der Gerthsen erhebt einen weiteren hohen Anspruch: Er möchte für möglichst viele Benutzer geeignet sein. Im Vorspann wird das ausgeführt: als Lehrbuch neben Vorlesungen, als Übungsbuch, zur Prüfungsvorbereitung, zur Vertiefung, als Nachschlagewerk. Im Umschlagtext kommen noch die Nebenfachstudenten hinzu, für die er unverzichtbar sein soll. Da muss man aber Einspruch einlegen. Auf deren spezifische Schwierigkeiten kann das Buch nicht eingehen, und es tut es auch nicht. Doch auch als Lehrbuch für Physikanfänger ist der Gerthsen derzeit nur mit Vorsicht zu empfehlen. Das liegt an den vielen Ungereimtheiten, die sich in der ersten Hälfte finden. Da gibt es Bilder ohne hinreichende Erklärung, ungeschickte Beispiele und immer, immer wieder Vorgriffe. So wird der Begriff der spezifischen Wärme wie selbstverständlich verwendet, ohne dass er eingeführt oder gar definiert worden wäre; das geschieht erst drei Seiten später. Nachdem im ersten Kapitel die kinetische und potentielle Energie eines Massenpunktes eingeführt worden sind, folgt ohne weitere Vorbereitung eine breite Diskussion der 'Energiekrise'. Was 'Verbrennen' mit Energie zu tun hat, darf sich der Anfänger 200 Seiten weiter hinten zusammensuchen.

Und als Übungsbuch? Sehr zu empfehlen, aber nicht für Anfänger. Es gibt eine ein­drucks­volle Zahl schöner Aufgaben. Vielfach sind das Weiterführungen des Stoffes in Frage- und Antwort-Form. Übungen sollen dazu dienen, Gelerntes durch handfestes Nachvollziehen zu verfestigen. Solche Aufgaben finden sich eher selten. Die Stärke des Gerthsen liegt in der umfassenden Darstellung der Physik für Leser mit Vorwissen. Das macht ihn für die anderen Zwecke gut geeignet, zur Prü­fungs­vorbereitung, zur Vertiefung, als Nachschlagewerk. Ich darf den mir vorliegenden Band behalten; ich werde ihn gebrauchen können.

Die 22. Auflage ist die zweite, die von D. Meschede verantwortet wird. Seither sind die Kapitel über Atomphysik und ihr Umfeld neu konzipiert und zum Teil neu geschrieben worden. Das hat dem Buch gut getan. Die 22. Auflage wird auf dem Deckel als 'völlig neu bearbeitet' bezeichnet. Das Wort 'völlig' trifft nicht recht zu. Aus der 20., noch von H. Vogel verantworteten Auflage sind 12 der 20 Kapitel unverändert oder kaum verändert übernommen worden. Ich drücke die Daumen, dass die völlige Neubearbeitung, die mir durchaus erforderlich scheint, auch in der Realität bald gelingt.

Prof. Dr. Joachim Großer, Institut für Atom- und Molekülphysik, Universität Hannover

Weitere Infos:

• D. Meschede: Gerthsen Physik
  Springer Verlag, Heidelberg 2004.
  22. völlig neu bearb. Aufl., XXIII + 1157 Seiten, 1330 Abb., Geb.,
  ISBN 3-540-02622-3

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