Skyrmionen
Dietmar Dath: Skyrmionen oder: A Fucking Army, Matthes & Seitz, Berlin 2025, geb., 966 S., 38 Euro, ISBN 9783751810296
Dietmar Dath

In Dietmar Daths bislang seitenstärkstem Buch rebelliert die Hauptfigur Renate Hofer gegen ihren Vater und wird – ganz im Einklang mit ihrem Vornamen – wiedergeboren, und zwar im Kühltank einer Serverfarm. Das beschert ihr die Vision, eine Maschine zu bauen, die das Zeitalter der Computer und der KI überwindet. Dafür schart sie „a fucking army“ exzentrischer Wagemutiger um sich. Diese kurze Inhaltsangabe reicht nicht über den Klappentext hinaus, und ich bin längst noch nicht durch mit diesem Wälzer, den ich aber auch nach Beendigung der Lektüre sicher nicht adäquat zu fassen bekommen werde.
Zunächst etwas zum Titel: „Zur Illustration, was ein Skyrmion auszeichnet, ist es hilfreich, einen behaarten Ball zu betrachten: Unabhängig davon, wie man diesen kämmt, bleibt immer ein Wirbel zurück. Dieser ist eine besondere Charakteristik der Geometrie der behaarten Oberfläche des Balls und reflektiert deren nicht-triviale Topologie. Zudem sind Skyrmionen Solitonen, d. h. stark nichtlineare, räumlich lokalisierte, stationäre Anregungen mit teilchenartigem Charakter“, so schreibt Christian Pfleiderer in seinem Artikel zum Max-Born-Preis 2016. Ich bin versucht, dies auf den vorliegenden „Roman“ und seinen Autor anzuwenden:
Dath wirbelt auf einem Ball mit haarigen Themen herum und ist, wenn schon kein Soliton, so doch ein Solitär der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein beeindruckend umfangreiches und thematisch ineinander verschränktes Werk umfasst Romane, Essays, Sachbücher und Traktate, dies aber kaum sortenrein.
All seine Bücher beinhalten realistische, autofiktionale, genretypische (Science-Fiction) und politische (Kommunismus) Elemente und durchdringen sich durch Anspielungen oder immer wieder auftauchende Figuren. Dazu kommt sein tiefes Interesse an der Mathematik, die er beim Versuch, das Genre Science-Fiction zu definieren, gerne nutzt, etwa in Niegeschichte.
Im ersten Drittel von „Skyrmionen“ schwimmt sich Renate Hofer frei und kommt mit dem Physiker Patrick Mehrtens zusammen, der die titelgebenden Skyrmionen erforscht. Nach der Trennung von Renate führt Patrick mit der Computerlinguistin Kerstin Waldmann einen Diskurs zwischen Physik, Sprachphilosophie, Informatik und Politik. Dietmar Daths erstaunliche Fähigkeit, vermeintlich Inkommensurables in einen Dialog zu bringen, entfaltet sich in langen Gesprächen oder Mail-Wechseln.
Der Roman findet sich in Buchläden oft im Science-Fiction-Regal. Dennoch sollte man keine actionreiche Zukunftssaga erwarten, sondern einen ideengetriebenen, durchaus gegenwärtigen Diskursroman, der unter anderem Tony Skyrmes physikalische Arbeiten, die Philosophie Donald Davidsons, die Comic-Heldin Yoko Tsuno, Lenins Schriften, Songs von Miley Cyrus, vielleicht sogar das Physik Journal und Daths eigene Werke heranzieht, der zudem selbst die Szenerie betritt.
Sein Schreibstil oszilliert zwischen ausufernder Dringlichkeit, die entweder Unwillen oder Mitdenken erregt, und mäandernder Abschweifung, etwa wenn er sich als Figur im Roman über Joggen oder Anspielungen auf seine Person im Werk von Uwe Tellkamp mokiert. Solche Exkurse sind amüsant, aber auch entbehrlich.
Wer wissen möchte, mit welcher Maschine Renate Hofer unsere von Computern und KI dominierte Zeit überwinden will, muss sich auf eine lange Gratwanderung zwischen Herausforderung und Zumutung begeben. Drastisches – der Untertitel deutet es an – kommt dabei mit provozierender Doppelbödigkeit zur Sprache.
Bei der Entscheidung, ob einem „Skyrmionen“ zusagen könnte, hilft vielleicht das ausführliche Gespräch mit dem Autor zur Buchpremiere. Das Dathsche Universum dehnt sich weiter beschleunigt aus. Welche Dunkle Energie er nutzt, bleibt sein Geheimnis. Lesen auf eigene Gefahr!
Alexander Pawlak















