21.12.2007

Wandern ohne Ziel

Vogl. G.

Diffusion, d. h. die Zufallsbewegung von Teilchen, ist eines der grundlegenden Phänomene in Natur und Technik und bestens geeignet, um von der Faszination zu berichten, die von naturwissenschaftlicher Forschung ausgehen kann. Nachdem uns Gero Vogl gleich mit der köstlichen Umschreibung „Wandern ohne Ziel“ in der Überschrift einlädt, im wahrsten Wortsinn von althergebrachten und allzu eingefahrenen Wegen abzuweichen, versteht er es, beim Leser diese Faszination über das gesamte Büchlein wach zu halten.
Im historischen Abriss über die Erschließung der Gesetzmäßigkeiten der Diffusion, und damit – wegen ihrer unmittelbaren Verwandtschaft – von Ausbreitungsvorgängen ganz allgemein, geschieht dies in vielfachen, lebendigen geschichtlichen Bezügen und in der Würdigung der besonderen gedanklichen Leistungen bei der Aufstellung der jeweiligen Gleichungen. Mit der Einführung des Begriffs des Wärme- und Teilchenstroms mussten Joseph Fourier und Adolf Fick in ihren grundlegenden Gleichungen Neuland betreten, wobei sie bewusst auf eine Festlegung der zugrundeliegenden Ausbreitungsmechanismen verzichteten. Wie wir heute wissen, gibt es in den verschiedenen Erscheinungsformen von Materie eine Vielzahl von Ursachen für solche Zufallsbewegungen, deren Aufklärung eine wichtige Aufgabe aktueller Forschung ist. Gero Vogl berichtet von spannenden Beispielen, insbesondere aus seinem Spezialgebiet, der Diffusion in Festkörpern.
Ein ganz besonderer Reiz dieses Büchleins besteht aber darin, dass immer wieder der Bereich von Physik und Chemie verlassen wird und die unterschiedlichsten „Zufallswege“ in ganz anderen Gebieten betrachtet werden. So erfährt der Leser interessante Details zur Besiedlung des amerikanischen Kontinents durch die Paläo-Indianer sowie zur Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht in Europa. Er liest von der Ausbreitung von Seuchen im Mittelalter und folgt dem Autor bei seinen Vorhersagen zur Ausbreitung einer aus Amerika eingewanderten Verwandten unseres Beifußes, die erst spät im Jahr zur Blüte kommt und Allergiker deshalb besonders ärgert, weil der Pollenflug unserer heimischen Arten dann schon aufgehört hat. Schließlich berichtet das Büchlein von Veränderungen in unseren Sprachen, die sich auf die Hineindiffusion und das Verschwinden von Wendungen und Wörtern zurückführen lassen. Der interessierte Leser erhält damit auch Denkanstöße zum Für und Wider der Eindiffusion des Englischen in unsere Wissenschaftssprache. Da die unterhaltsame und charmant geführte Wanderung mit nur ganz wenigen Formeln auskommt, kommen Wanderfreunde aller Herkunft und jeder Altersgruppe auf ihre Kosten. Hoffentlich lassen sich nicht allzu viele von dem Buchpreis (aus meiner Sicht das einzig wirklich Negative) abschrecken. Dies wäre schade, denn bei diesem wunderschönen Büchlein sind selbst rund 35 Euro gut angelegt.
Prof. Dr. Jörg Kärger, Fakultät für Physik und Geowissenschaften, Universität Leipzig

G. Vogl: Wandern ohne Ziel
Springer, Heidelberg 2007, 209 S., geb., ISBN 9783540710639

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