Kerstin Sonnabend • 3/2016 • Seite 25Von der Vision zur Fusion
In Südfrankreich entsteht das Fusionsexperiment ITER. Die Anlage ist für GeneraldirektorBernard Bigot mehr als ein internationales Großforschungsprojekt.
Die Provence im Süden Frankreichs ist vor allem bei Touristen bekannt: Die Kombination aus mildem mediterranen Klima und reizvollen Landschaften lockt jedes Jahr mehrere Millionen Besucher an. Seit mehr als zehn Jahren geht es auch im beschaulichen Ort Saint-Paul-lès-Durance immer internationaler zu. Allerdings sind es weniger Touristen als Physikerinnen und Physiker, die den Ort besuchen. Und sie kommen nicht zum Urlaub, sondern um die Fusionsforschung voranzutreiben. Denn unweit des französischen Kernforschungszentrums Cadarache, in dem sich etwa 5000 Mitarbeiter vor allem mit Kernspaltung beschäftigen, entsteht der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER). Noch ist das Großexperiment nicht mehr als eine riesige Baustelle – mehrere hohe Baukräne in tief ausgehobenen Baugruben vermitteln einen Eindruck davon, wie aufwändig es ist, die Energiequelle unserer Sonne auf die Erde zu holen. Dass dies machbar ist, soll ITER zeigen. Dabei ist die Anlage nur ein Schritt zu nahezu unbegrenzt verfügbarer und „sauberer“ Energie aus Kernfusion – zahlreiche technische Herausforderungen warten auf dem langen Weg (lat. iter) vom Fusionsexperiment zum Fusionskraftwerk, das die neue Energiequelle auch kommerziell nutzen könnte.
Die Idee, die Fusion von Wasserstoff zu Helium als Energiequelle zu nutzen, stammt bereits aus den 1950er-Jahren. Etwa zeitgleich entwickelten Lyman Spitzer in den USA sowie Andrei D. Sacharow und Igor E. Tamm in der UdSSR Konzepte, um ein Plasma aus Deuterium und Tritium in einem Magnetfeld einzufangen. Ein toroidales und ein poloidales Feld halten die Teilchen auf geschlossenen Bahnen. Das poloidale Feld entsteht im Stellarator durch die Geometrie der Magnetspulen; im Tokamak wird es im Plasma induziert. Beide Konzepte werden heute noch verfolgt.1) Bei Temperaturen von 150 Millionen Kelvin – zehnmal heißer als im Innern der Sonne – entsteht durch Kernfusion Helium. Dabei wird Energie frei, die in Form von Wärme eine Dampfturbine mit Stromgenerator antreiben könnte. Der instabile Brennstoff Tritium soll direkt im Fusionsreaktor aus Lithium entstehen. Rechenbeispiele zeigen, dass das Deuterium aus einer Badewanne voll Wasser und das Lithium aus einer Laptop-Batterie ausreichen, um auf diese Weise genug Energie zu gewinnen, um eine Familie 50 Jahre lang mit Strom zu versorgen. Die technische Umsetzung ist aber anspruchsvoll – beispielsweise treten die hohen Plasmatemperaturen in unmittelbarer Nachbarschaft supraleitender Magnetspulen auf, die bei Temperaturen von wenigen Kelvin betrieben werden. Ob es mit ITER tatsächlich gelingt, zehnmal mehr Energie zu erzeugen, als zum Heizen des Plasmas nötig ist, bleibt abzuwarten.
Momentan entsteht auf dem 42 Hektar großen ITER-Gelände die nötige Infrastruktur, um die Komponenten des Tokamak zusammenzufügen. „Bei jedem Besuch sieht es hier anders aus“, stellt Sibylle Günter, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP), erfreut fest. Die Dimensionen des Großprojekts zeigen sich auf den ersten Blick: Eindrucksvoll ragt das Stahlskelett der 60 Meter hohen und fast 100 Meter langen Fertigungshalle auf, das teilweise schon mit einer spiegelnden Außenschicht verkleidet ist. In dieser Halle werden an die neun Teile des Plasmagefäßes jeweils zwei supraleitende Magnetspulen montiert, bevor ein Kran die vorinstallierten Teile in das benachbarte Tokamak-Gebäude zur endgültigen Montage heben soll.2) Seine Bodenplatte ruht erdbebensicher auf 500 anti-seismischen Federungen (Abb. 1); nach und nach wachsen seine massiven Mauern aus Stahlbeton bis zur Bodenebene der Fertigungshalle...
weiterlesen Stefan Jorda • 3/2012 • Seite 26Ein komplexes Feld
Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald entsteht das Fusionsexperiment Wendelstein 7-X vom Typ Stellarator.
Ungewöhnlich ist sie, diese Maschine. Wären da nicht die vielen Löcher in dem matt schimmernden Stahl, kleine und große, runde und rechteckige, könnte das Ganze ein enormer Tank sein. Die Löcher geben den Blick frei auf ein komplexes Inneres aus Metallplatten, kupfernen und silbrig glänzenden Strukturen, Schläuchen, Rohren und elektrischen Leitungen.
Ein Baugerüst führt in fünf Meter Höhe. Hier oben zeigt sich, dass der „Tank“ die Form eines riesigen Torus hat. In seinem Inneren verbirgt sich eines der weltweit größten und komplexesten Experimente der Fusionsforschung: Wendelstein 7-X, ein sog. Stellarator. In der großen Experimentierhalle des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald nähert sich das 725 Tonnen schwere Großgerät der Zielgeraden: Rund dreißig Jahre nach den ersten Plänen soll der Aufbau Mitte 2014 abgeschlossen sein. Dann muss sich in der anschließenden Experimentierphase zeigen, ob ein Stellarator das Potenzial für ein Kraftwerk hat, das wie die Sonne schier grenzenlose Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen erzeugt.1)
Die Crux bei allen Fusionsexperimenten besteht darin, das 100 Millionen Grad heiße Plasma, in dem die Fusionsreaktionen stattfinden, mit Magnetfeldern so einzuschließen, dass es mit dem ringförmigen Plasmagefäß nicht in Berührung kommt. Wie diese Felder erzeugt werden, darin unterscheiden sich die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Konzepte für Fusionsexperimente: Beim Stellarator legen äußere Spulen das komplette Feld fest. „Er ist de facto eine magnetische Flasche, in die Sie Plasma füllen“, erläutert Thomas Klinger, Fusionsforscher und Projektleiter von Wendelstein 7-X, „wobei die ganze Intelligenz in der Geometrie des Feldes steckt.“ Im Gegensatz dazu entsteht das Feld bei den meisten Anlagen, den im südfranzösischen Cadarache im Bau befindlichen ITER eingeschlossen, sowohl durch äußere Spulen als auch durch einen Strom im Plasma selbst. Wie bei einem Transformator, dessen Sekundärspule das Plasma ist, wird dieser Strom von außen induziert. Daher eignet sich ein solcher Tokamak nicht für den Dauerbetrieb, und es ist eine große Kunst, ihn „hochzufahren“: Der Plasmaeinschluss entsteht erst sukzessive durch die richtigen Stromprofile, und ein Strom lässt sich nur in einem vorhandenen Plasma induzieren. „Das ist eine typische Selbstkonsistenzschleife“, erklärt Thomas Klinger: „Das System zieht sich wie der Baron Münchhausen selbst aus dem Sumpf.“ Ein großer Vorteil macht all dies jedoch wett: Die Anlage hat die einfache Form eines Donuts. ...
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Die Kernfusion verheißt, aus billigen und überall vorhandenen Brennstoffen praktisch grenzenlos Energie zu erzeugen. Doch bis sich das „Sonnenfeuer“ in einem Kraftwerk einsperren und nutzen lässt, ist es ein weiter Weg. Ein entscheidender Fortschritt gelang Anfang der 80er-Jahre mit der Entdeckung der H-Mode, die durch einen deutlich verbesserten Einschluss des Plasmas ausgezeichnet ist.
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Rainer Scharf • 4/2007 • Seite 10
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