Später starten mit mehr Dynamik
Beim Fusionsexperiment ITER hat nicht mehr ein frühzeitiges „First Plasma“ höchste Priorität, sondern der „Start of Research Operations“.
Kerstin Sonnabend
Der neue Zeit- und Kostenplan zementiert, was seit Oktober 2020 allen Beteiligten klar war: Am Fusionsexperiment ITER wird im kommenden Jahr nicht das „First Plasma“ zünden. Pietro Barabaschi, Generaldirektor der ITER Organization, erläuterte in einer Pressekonferenz die Details der überarbeiteten Planung. Bereits Ende Juni hatte er die Baseline dem ITER Council vorgestellt; nun müssen die Mitglieder des internationalen Gemeinschaftsunternehmens dieser noch zustimmen.
Das Fusionsexperiment ITER blickt auf eine lange Geschichte mit zahlreichen Verzögerungen und Kostenanstiegen zurück. Dabei wird gerne vergessen, dass die Entwicklungsarbeit für den weltweit größten Tokamak-Reaktor, dessen thermische Fusionsleistung zehnmal größer als die benötigte Heizleistung werden soll, die Fusionsforschung weltweit vorantreibt, so zum Beispiel auch am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und Greifswald. Von den Grundlagen und technischen Details, die dank ITER bekannt sind, profitieren heute zahlreiche Start-ups, die versprechen, in wenigen Jahren kommerziell Fusionskraftwerke auf den Markt zu bringen.
Barabaschi betonte, dass die neue Baseline nicht an den grundlegenden Zielen von ITER rüttelt. Das Fusionsexperiment soll zeigen, dass sich alle benötigten Systeme integrieren lassen, um die Fusion im industriellen Maßstab als Energiequelle zu nutzen. ITER selbst soll in 400 Sekunden langen Pulsen mithilfe von 50 MW Heizleistung mehr als 500 MW Fusionsleistung freisetzen (Q ≥ 10); im Dauerbetrieb ist das Ziel, Q ≥ 5 zu erreichen.
Anders als sein im Amt verstorbener Vorgänger Bernard Bigot, dessen Baseline von 2016 ein möglichst frühes „First Plasma“ im kommenden Jahr mit einer anschließenden vierstufigen Aus- und Umbauphase vorsah, setzt Barabaschi auf einen späteren Start 2034 mit einer Anlage, die bereits Komponenten der letzten Ausbaustufe enthält. So will er die durch die Covid-19-Pandemie bedingten Verzögerungen nutzen, um 2036 den Betrieb mit voller Magnetfeldstärke und maximalem Plasmastrom lediglich drei Jahre später als von Bigot geplant zu erreichen. Der erste Einsatz eines Deuterium-Tritium-Plasmas ist nun für 2039 statt 2035 vorgesehen.
Mit der neuen Strategie will Barabaschi weitere Verzögerungen vermeiden, die sich durch einen zu optimistischen Plan bei Herstellung und Aufbau der Anlagenkomponenten ergeben haben, der dann zu komplizierten Reparaturen bereits installierter Teile geführt hat. Beispielsweise sollen ausführliche Tests vor Ort die Qualität der als „in-kind contribution“ gelieferten Magnetspulen bei der Betriebstemperatur von vier Kelvin bestätigen. Mit der Installation zusätzlicher Heizsysteme lässt sich überdies von Beginn an die Temperatur simulieren, der das Plasmagefäß und der Divertor im Betrieb mit Deuterium und Tritium ausgesetzt sein werden. Eine wesentliche technische Neuerung ist der Einsatz von Wolfram anstelle von Beryllium als Material, das als „first wall“ direkt mit dem Plasma in Berührung kommen kann. Damit setzt auch ITER auf den weltweit mittlerweile üblichen Standard für größere Fusionsexperimente.
Auf Nachfrage betonte Barabaschi während der Pressekonferenz, dass ITER auch an der Philosophie festhalte, ein Friedensprojekt zu sein: Trotz aller politischen Spannungen arbeiteten im südfranzösischen Saint-Paul-lès-Durance weiterhin Forschende aus Russland an der Anlage mit; das gemeinsam von China, Europa, Indien, Japan, Russland, Südkorea und den USA getragene Unternehmen werde weiter in dieser Form bestehen. Die zahlreichen Start-ups zur Nutzung der Fusionsenergie sehe er nicht als Konkurrenz, sondern als willkommene Ergänzung zu ITER: Einen Workshop Ende Mai nutzten rund 300 Mitarbeitende von öffentlich und privat finanzierten Initiativen zum Wissensaustausch und Vernetzen.
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