07.05.2012

Abgehobene Forschung

Messflüge mit einem Zeppelin versprechen wichtige Erkenntnisse zur Atmosphärenchemie und zum Klimawandel.

Am 4. Mai fiel in Friedrichshafen der offizielle Startschuss für eine ungewöhnliche wissenschaftliche Messkampagne: Insgesamt zwanzig Wochen lang wird ein mit Messinstrumenten beladener Zeppelin quer durch Europa fliegen und dabei die Luftzusammensetzung messen. Koordiniert von Klimaforschern des Forschungszentrums Jülich wollen die Wissenschaftler vor allem zwei chemische Akteure in bodennahen Luftschichten genauer unter die Lupe nehmen: das Hydroxylradikal (OH-Radikal), das als „Waschmittel“ der Atmosphäre dient, und die Aerosole, also kleine Schwebeteilchen. Daten zu deren Entstehung und ihrem Einfluss auf das Klimageschehen sollen unter anderem Aufschluss über die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre geben. „Wir wissen, dass sich die Atmosphäre selbst reinigt“, sagt Andreas Wahner, Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am FZ Jülich, „aber nicht, unter welchen Bedingungen sie das optimal tut.“

Sowohl Bodenstationen als auch Forschungsflüge haben bereits viele Einsichten in die Prozesse geliefert, die sich in der Atmosphäre abspielen. Die chemisch aktivste Schicht, die planetare Grenzschicht, bleibt dabei jedoch ausgespart. Diese Grenzschicht erstreckt sich je nach Tageszeit, Jahreszeit und Temperatur vom Boden bis in Höhen von 200 bis 2000 Meter. Im Gegensatz zu der darüber liegenden freien Troposphäre wird sie sehr stark und schnell durchmischt. Da der Zeppelin in diesen Höhen langsam schweben, in der Luft anhalten sowie vertikal auf- und absteigen kann, ist er prädestiniert dazu, die bisherige Beobachtungslücke zu schließen.

Im Rahmen der Pegasos-Kampagne wird dieser Zeppelin in Friedrichshafen mit zahlreichen Messinstrumenten bestückt (Foto: FZ Jülich)


Derzeit läuft der Umbau des Luftschiffs zum Forschungszeppelin. Dazu wird einerseits die Passagiergondel mit Geräten zur Laserfluoreszenzspektroskopie oder Massenspektrometrie bestückt. Eine besondere Rolle spielt andererseits eine Plattform, die oben auf den Zeppelin montiert wird. Diese ungewöhnliche Position ist notwendig, um die sehr schnell zerfallenden OH-Radikale unter natürlichen Bedingungen, sprich bei natürlichen Lichtverhältnissen und bei freier Anströmung, messen zu können. Messgeräte in der Gondel würden bereits aufgrund der kurzzeitigen Abschattung durch den Zeppelin verfälschte Ergebnisse liefern. „Mit dieser Plattform haben wir technischen Mut bewiesen“, sagte Thomas Brandt, Geschäftsführer der ZLT Zeppelin Luftschifftechnik GmbH, und freut sich darüber, dass „die Wissenschaft gerade entdeckt, welche einzigartigen Dinge mit dem Zeppelin möglich sind.“

Ab Mitte Mai startet der umgerüstete Zeppelin zunächst auf eine zweiwöchige Reise nach Cabauw in den Niederlanden – ständig begleitet von einem internationalen Team aus 15 Wissenschaftlern und Technikern. Im Juni geht es östlich um die Alpen für gut fünf Wochen nach Italien, wo in Kooperation mit italienischen Forschern Messungen in der Poebene und über der Adria stattfinden. Der Rückflug führt westlich um die Alpen über Frankreich nach Friedrichshafen. Im April 2013 werden die Atmosphärenforscher schließlich zu einer weiteren zweimonatigen Kampagne Richtung Nordeuropa starten – Zielpunkt Hyytiälä in Finnland. Sowohl die Routen der Mission als auch die Messplätze sind auf bestehende Bodenmessstationen abgestimmt. Die Forscher können dadurch Daten aus dem Flug direkt mit ortsgebundenen Messungen vergleichen.

Die Zeppelinmission ist Teil des EU-Projekts PEGASOS (Pan-European-Gas-AeroSOl-Climate Interaction Study), in dem 26 Partner aus 14 europäischen Staaten sowie Israel Zusammenhänge zwischen Atmosphärenchemie und Klimawandel erforschen. Die Europäische Kommission fördert PEGASOS im siebten Forschungsrahmenprogramm. Die Kampagne will den Einfluss der Atmosphärenchemie auf den Klimawandel messen und die entscheidenden Prozesse klären. Die Ergebnisse sollen dann wissenschaftliche Grundlagen liefern für EU-weite Maßnahmen, die die Luftqualität verbessern und gleichzeitig die Auswirkungen auf den Klimawandel berücksichtigen sollen. Auch für die weltweite Klimapolitik werden die Untersuchungen zur Verfügung stehen, da Projektpartner auch in die Arbeit des Klimarats der Vereinten Nationen (IPCC) eingebunden sind.

Stefan Jorda / FZ Jülich

 

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