Abgehobenes Mikroskop
Spinning-Disc-Laserscanning-Analysesystem beweist sich im Höhenflug auf TEXUS-52.
Abb.: Die Wissenschaftler bereiten den Nutzlastbereich der insgesamt fast 13 Meter hohen VSB-30 Höhenforschungsrakete vor. (Bild: F. Kohn)
Der Countdown lauft, die Rakete startet, dann geht es sechs Minuten lang – zirka 250 Kilometer – hinauf in den Himmel. Am Montag startete die TEXUS-52 auf ihren Suborbitalflug in den Himmel Schwedens. An Bord: Nervenzellen. Das Experiment soll zeigen, wie stark Zellprozesse von der Schwerelosigkeit beeinflusst werden. In der Praxis konnten diese Erkenntnisse hilfreich fur die Medizin und Raumfahrt sein.
Knapp drei Wochen vor dem Start war Florian Kohn vom Fachgebiet Membranphysiologie der Uni Hohenheim in Schweden und bereitete die Proben fur ihren kurzen Rundflug vor. Eine technische Raffinesse wahrend des 6-Minuten-Flugs: Noch in der Luft schaltet sich das konfokales Laserscanning-Mikroskop ein, das extrem hochauflosende Aufnahmen der gefarbten Nervenzellen und ihrer Prozesse in der Schwerelosigkeit anfertigt. „Die Entwicklung des Lebens auf der Erde hat unter konstanter Schwerkraft stattgefunden. Nehmen wir die Schwerkraft weg, laufen viele Prozesse anders ab. Das wollen wir untersuchen und herausfinden, wie man die nun anders ablaufenden Prozesse gezielt einsetzen kann“, begrundet Kohn nach dem erfolgreichen Start am Telefon.
Im Detail will Kohns Arbeitsgruppe zwei gefundene Effekte genauer untersuchen. „Einmal ist messbar, dass die Geschwindigkeit, mit der Nervenzellen unter Schwerelosigkeit miteinander kommunizieren, abnimmt. Laut Weltraummedizinern hat das beispielsweise einen Einfluss auf die Reflexe von Astronauten. Sie sind also ein bisschen langsamer im All.“ Der zweite Effekt: Das Ruhepotenzial von Nervenzellen unter Schwerelosigkeit verringert sich. So kann eine Nervenzelle, die der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist, Signale einfacher an andere Zellen weitergeben.
An sich handelt es sich bei dem Experiment um reine Grundlagenforschung. „Wir wollen besser verstehen, wie Nervenzellen funktionieren. Die Schwerelosigkeit ist ein Werkzeug, um die Zellen zu beeinflussen.“ In der Praxis konnte Kohns Forschung allerdings auch dazu beitragen, das Wohlbefinden von Astronauten zu steigern – oder sogar auf der Erde medizinischen Nutzen zu stiften. „Theoretisch ware denkbar den Schwerelosigkeitseffekt zu nutzen, um die Wirkung von Medikamenten zu verbessern, indem man die Zellmembranen beeinflusst und die Wirkstoffe so schneller zu ihrem Ziel gelangen.“ Ursache konnte im Zytoskelett der Zelle liegen Die Ursache fur die beobachteten Effekte konnte unter anderem Einflusse von Schwerkraft und Schwerelosigkeit auf das Stutzskelett der Zelle sein, vermutet Kohn.
Das fluoreszenzmikroskopische Analysesystem FLUMIAS wurde für genau solche Untersuchungen entwickelt. Strukturelle Veränderungen des Zellskeletts, von Zellorganellen und Membranen, Änderungen von Ionenkonzentrationen und die Verteilung von Enzymen und anderen Proteinen in den Zellen lassen sich mit Hilfe des Spinning-Disc-Verfahrens zeitlich und räumlich hochaufgelöst und dreidimensional verfolgen. Seine Eignung für den Suborbitalflug hat das Instrument letztes Jahr im Rahmen der 24. DLR-Parabelflugkampagne unter Beweis gestellt (siehe Bericht im Physik Journal).
U. Hohenheim / DLR / OD