17.07.2012

Aerographit: 75-mal leichter als Styropor

Weltrekord – das leichteste Material der Welt kommt aus Norddeutschland.

Es ist pechschwarz, stabil, elektrisch leitfähig, verformbar und undurchsichtig – mit seinen einzigartigen Eigenschaften und seiner geringen Dichte hängt das Kohlenstoffmaterial „Aerographit“ alle Konkurrenten ab. „Unsere Entwicklung löst in Wissenschaftskreisen rege Diskussionen aus. Das Aerographit ist mehr als viermal leichter als der bisherige Weltrekordhalter“, freut sich Matthias Mecklenburg von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Das vor einem halben Jahr vorgestellte Nickel-Material bestand zwar ebenfalls aus einem winzigen Röhrensystem. Allerdings hat Nickel von vornherein ein höheres Atomgewicht. „Wir können dazu noch Röhren herstellen, die aus porösen Wänden bestehen, und dadurch extrem leicht sind“, ergänzt Arnim Schuchardt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die atomare Struktur des Materials konnten die Kieler Analytiker Lorenz Kienle und Andriy Lotnyk per Transmissionselektronenmikroskopie entschlüsseln.

Abb.: Die Tetrapoden des Zinkoxids bilden die ideale Basis für das Aerographit. (Bild: TUHH)

Trotz der niedrigen Dichte von 0,2 Milligramm pro Kubikzentimeter ist Aerographit sehr belastbar. Während leichtgewichtige Materialien üblicherweise Druck aber nicht Zug aushalten können, zeichnet sich das Aerographit durch hervorragende Stabilität bei Druck- und Zugbelastung aus. So lässt es sich um bis zu 95 Prozent komprimieren und wieder in die ursprüngliche Form auseinander ziehen, sagt der Kieler Professor Rainer Adelung: „Dabei wird das Aerographit bis zu einem bestimmten Grad sogar fester, und damit stärker als vorher.“ Andere Materialien würden durch derartige Belastungen zunehmend schwächer und instabiler werden. „Außerdem absorbiert das Material fast vollständig Lichtstrahlen. Man könnte sagen, es erzeugt das schwärzeste Schwarz“, ergänzt der Hamburger Professor Karl Schulte.

Abb.: Während des Entstehungsprozesses wird das Opfer-Templat, das kristalline Zinkoxid (hier kräftig weiß), durch Wasserstoff zersetzt. Wasserdampf und Zink entweichen. Die Röhren des Aerographit bleiben zurück. (Bild: TUHH)

„Man kann sich das Aerographit wie ein schnell wachsendes Efeu-Geflecht vorstellen, das sich um einen Baum windet, wobei der Baum selbst entfernt wird“, erklärt Adelung den Herstellungsprozess. Der Baum ist ein so genanntes „Opfer-Templat, also das Mittel zum Zweck. Das CAU-Team nutzte für dessen Herstellung ein pulverförmiges Zinkoxid und brachte es durch Erhitzen in einem 900 Grad Celsius heißen Ofen in eine kristalline Form.

In der weiteren Bearbeitung stellen die Kieler Materialwissenschaftler eine Art Tablette her. In ihr bildet das fertige Zinkoxid Mikro- und Nanostrukturen aus, die Tetrapoden, die sich gegenseitig durchdringen und damit die einzelnen Partikel zu der porösen Tablette fest verbinden. Die Tetrapoden sind das Netzwerk, auf dessen Basis das Aerographit entsteht.

Abb.: Im resultierenden Aerographit, dem leichtesten Material der Welt, bilden offene Kohlenstoffröhren ein feines Netz und ermöglichen so eine geringe Dichte von bis zu 0,2 Milligramm pro Kubikzentimeter. (Bild: TUHH)

Im nächsten Schritt kommt das tablettenförmige Material in den 760 Grad Celsius heißen Reaktor zur chemischen Gasphasenabscheidung an der TUHH. „In einer strömenden, mit Kohlenstoff angereicherten Gasphase wird das Zinkoxid von einer nur wenige Atomlagen dicken Graphitschicht ummantelt, wodurch die verwachsene Netzwerkstruktur des Aerographit gebildet wird. Der gleichzeitig zugeführte Wasserstoff reagiert mit dem Sauerstoff des Zinkoxid. Wasserdampf und Zink entweichen als Gas“, sagt Schulte. Übrig bleibt die typisch vernetzte und röhrenförmige Kohlenstoffstruktur. TUHH-Nachwuchswissenschaftler Mecklenburg: „Je schneller wir das Zink in unserem Prozess herausholen, desto löchriger sind die Wände der Röhren und desto leichter wird das Material. Es gibt da noch viel Spielraum.“ Und sein Kieler Kollege Schuchardt ergänzt: „Das Schöne ist, dass wir ganz gezielt die Aerographit-Eigenschaften beeinflussen können: Die Form der Template hier in Kiel und den Abscheidungsprozess in Hamburg stimmen wir ständig aufeinander ab.“

Abb.: Advanced Materials Vol. 24, Iss. 26 (Wiley-VCH)

Dank der besonderen Materialeigenschaften des Aerographits könnte es beispielsweise in Li-Ionen-Batterien ideal angepasst werden. Das heißt, dass nur noch eine minimale Menge Batterieelektrolyt eingesetzt werden muss, was zu einer wichtigen Gewichtsreduktion bei den Batterien führen soll. Einsatzmöglichkeiten für diese kleineren Batterien können Elektroautos oder E-Bikes sein. Damit trägt das Material unter anderem zur Entwicklung umweltfreundlicher Transportmittel bei. Eine weitere Anwendung wäre, nichtleitfähige Kunststoffe ohne nennenswerte Gewichtszunahme elektrisch leitfähig zu machen. Damit ließen sich statische Aufladungen, die man aus dem Alltag kennt, vermeiden. Auch in der Wasserreinigung verspricht das Material großes Potenzial. Es könnte als Sorptionsmittel für persistente Wasserschadstoffe diese elektrochemisch oxidieren, also zersetzen, und so abbauen.

CAU / OD

Bis zu 95 Prozent lässt sich Aerographit komprimieren und anschließend wieder auseinanderziehen. Anders als andere Materialien wird es dadurch sogar immer steifer (Durchmesser neun Millimeter):

Die sehr geringen Massen des Aerographits ermöglichen sehr schnelle Richtungsänderungen. Erst stellt es sich auf, dann springt es an den Stab aus Kunststoff und wieder auf den Tisch: so holt sich Aerographit Ladung vom Stab und gibt es an den Tisch ab.

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