20.09.2011

Auf dem Weg zur Neudefinition des Kelvin

Genaueres Messverfahren für die Boltzmann-Konstante soll Kelvin ausschließlich auf Naturkonstanten zurückführen.

Wissenschaftlern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ist es gelungen, die Boltzmann-Konstante neu zu bestimmen. Zwar reicht die Unsicherheit des Ergebnisses noch nicht ganz für eine Neudefinition des Kelvin aus, doch es beweist, dass sich das von der PTB gewählte Verfahren grundsätzlich dazu eignet. Metrologen sind Messkünstler und nehmen es ganz genau – im Fall der Boltzmann-Konstante bis auf die sechste Stelle hinter dem Komma. Wer sie sehr genau bestimmen kann, wird eine kleine Revolution im Bereich der weltweiten Temperaturmessung auslösen: Dann wird die Temperatureinheit nicht mehr wie bisher auf einer chemisch-physikalischen Stoffeigenschaft beruhen, nämlich dem Tripelpunkt des Wassers, sondern auf einer unveränderlichen Naturkonstante. Die Physiker der PTB erwarten, die Unsicherheit innerhalb der nächsten zwei Jahre so weit zu senken, dass der Weg zur Neudefinition des Kelvin frei wird.

Mit der nach dem Wissenschaftler Ludwig Boltzmann (1844-1906) benannten Boltzmann-Konstante k lässt sich von der kinetischen Energie von Teilchen auf ihre thermische Energie schließen. Kennt man k und die Bewegungsenergie der Teilchen, kann man die Temperatur errechnen. Zumindest theoretisch, denn bisher waren einige der Nachkommastellen der Boltzmann-Konstante Wackelkandidaten.

Jahrelange Forschung für ein paar Nachkommastellen ist nötig, weil die derzeitige Temperaturdefinition Probleme birgt. Bisher nutzt man den Tripelpunkt von Wasser als Basis für die Definition der Temperatureinheit Kelvin. Wasser ist jedoch nicht immer gleich Wasser, unterschiedliche Effekte können die Tripelpunktstemperatur beeinflussen. Problematisch ist insbesondere die Abhängigkeit von der Isotopenzusammensetzung und den Verunreinigungskonzentrationen. Deshalb wollen Wissenschaftler die Definition des Kelvin über eine unveränderliche Naturkonstante bestimmen und sie damit zuverlässiger machen.

An der Aufgabe, das Kelvin über eine Naturkonstante zu definieren, arbeiten zahlreiche Forschergruppen weltweit. Europäische Forschungseinrichtungen kooperieren auf diesem Gebiet in mehreren gemeinsamen EU-Projekten. Erst wenn mehrere Gruppen mit wenigstens zwei unabhängigen Methoden zu dem gleichen Ergebnis kommen, wird eine „wasserfreie" Definition des Kelvins möglich werden. Langfristig versuchen Wissenschaftler, alle Basiseinheiten des Internationalen Einheitensystems (SI) mithilfe von Naturkonstanten zu definieren. Beim Meter ist dies beispielsweise bereits über die Lichtgeschwindigkeit geschehen.

Bei der Bestimmung der Boltzmann-Konstante setzen viele Forschergruppen die akustische Gasthermometrie ein, die auch die bisher genauesten Werte liefert. Die PTB hat einen alternativen, komplett unabhängigen Weg eingeschlagen, um systematische Fehlerquellen auszuschalten: Hier kommt die Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometrie (DCGT) zum Einsatz. Die Methode beruht auf der Dichtebestimmung von Helium mittels einer Kapazitätsmessung. Die Forscher messen, inwieweit das Gas die Kapazität eines Kondensators ändert. Aus Messungen am Tripelpunkt des Wassers bei unterschiedlichen Drücken im Messkondensator kann mittels fundamentaler Zusammenhänge die Boltzmann-Konstante bestimmt werden.

Diese Aufgabe stellt hohe Anforderungen an die Messtechnik und wurde mit der Hilfe von Experten aus der Industrie und mehreren anderen PTB-Arbeitsgruppen realisiert. Beispielsweise muss die Druckmessung bei 7 Megapascal mit Kolbenmanometern bis auf ein Millionstel genau erfolgen, die Kapazitätsmessung sogar auf ein Milliardstel. Für die notwendige Temperaturstabilität sorgt ein großer Badthermostat, der in Zusammenarbeit mit dem nationalen Metrologie-Institut Italiens hergestellt und optimiert wurde.

Der Aufbau erlaubt nun DCGT-Messungen am Wassertripelpunkt und ergibt einen Wert für k von 1,380655·10-23 J/K. Mit einer Unsicherheit von 8 ppm ist er der Beweis dafür, dass sich die DCGT zu einer Bestimmung der Boltzmann-Konstante auf höchstem Niveau eignet. Bis zur angestrebten Unsicherheit von 2 ppm sind allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Die Wissenschaftler der PTB erwarten, dass es innerhalb der kommenden zwei Jahre gelingt und dann der Weg zur Neudefinition des Kelvin geebnet ist.

PTB / PH

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