Bakterien im Fluss
Chaotische Bewegungen in sogenannten aktiven Fluiden berechnet.
Es sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Flüssigkeit und benimmt sich doch oftmals ungewöhnlich: ein aktives Fluid, bestehend aus einer großen Menge Bakterien und Wasser. Eine solcher „Bakteriencocktail“ strömt dort, wo man laminare Strömungen erwarten sollte, chaotisch und mit Wirbeln durchsetzt. Forscher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und der Universität Cambridge haben jetzt gemeinsam ein theoretisches Modell entwickelt, mit dem sich solche Bewegungen berechnen lassen.
Abb.: Zweidimensionaler Schnitt aus einem dreidimensionalen Volumen des Geschwindigkeitsfelds der aktiven Flüssigkeit, die Farbkodierung entspricht der Wirbelstärke; links: Experiment, rechts: Simulation. (Bild.: K. Drescher, Princeton / PTB)
Bakterien sind überall auf der Erde von immenser Bedeutung: Sie halten die Bodenstruktur aufrecht, kontrollieren die Biochemie in den Ozeanen oder reinigen verseuchte Böden – um nur einige Beispiele zu nennen. Und doch ist über manche Eigenschaften dieser Organismen, die zu den ältesten und artenreichsten Lebensformen der Erde gehören, erstaunlich wenig bekannt. Dazu gehört auch ihr Fließverhalten. Um effizienter vorwärtszukommen, tun sich Bakterien nämlich gerne zusammen und machen sich gemeinsam auf die Reise. In hochorganisierten, kollektiven Schwarmbewegungen können sie große Entfernungen zurücklegen.
Dieses Verhalten bietet große Vorteile gegenüber dem Leben als ein einzelnes Individuum: Eine ganze Kolonie von Bakterien hat es einfacher, in schwierigen Umgebungen zu überleben, Nahrung zu suchen oder neues Terrain zu erobern. Wenn sich eine solche Bakterienkolonie fortbewegt, dann ähnelt sie von außen betrachtet einer Flüssigkeit, weshalb man das Ganze auch „aktives Fluid“ nennt. Doch wenn man das Fließverhalten genauer untersucht, dann offenbaren sich erstaunliche Unterschiede: Dort, wo eine echte Flüssigkeit laminar, also störungsfrei fließen würde, zeigen sich in der bakteriellen „Flüssigkeit“ chaotische Strömungen und Wirbel. Es herrscht also letztlich eine ganz andere Fließdynamik.
Das liegt daran, dass die Bewegung anders in Gang gebracht wird: Bei einer normalen Flüssigkeit sind es Einflüsse von außen, bei Bakterien dagegen stammt der Antrieb aus dem tiefen Inneren der Bakterienflüssigkeit, nämlich von den vielen Millionen Flagellen oder Geißeln. Das sind fadenförmige Gebilde auf der Bakterien-Oberfläche, die ihrer Fortbewegung dienen.
PTB-Wissenschaftler und Wissenschaftler der University of Cambridge haben zusammen eine einfache Erweiterung der Navier-Stokes-Gleichung für aktive Flüssigkeiten vorgeschlagen, die auch ohne äußere Einflüsse instabil wird. In der Veröffentlichung vergleichen die Forscher quantitativ dreidimensionale Simulationen des Modells aus Deutschland mit Experimenten von dichten Bacillus-Subtilis-Suspensionen, die in Großbritannien stattgefunden haben. So ließen sich schwer zugängliche physikalische Größen wie beispielsweise die Elastizität oder anisotrope Viskosität der aktiven Flüssigkeit indirekt messen.
Die Ergebnisse der internationalen Forschergruppe könnten interessante neue Untersuchungen nach sich ziehen, um die Entstehung von kollektivem Verhalten noch eingehender kennenzulernen, und möglicherweise künftige praktische Anwendungen anstoßen. Beispielsweise könnten einer Flüssigkeit Mikroschwimmer zugefügt und so deren Fließeigenschaften gezielt manipuliert oder Medikamente im Körper transportiert werden. Obwohl das kollektive Verhalten von Mikroschwimmern Gegenstand der aktuellen Forschung ist, weiß man noch zu wenig über die Eigenschaften aktiver Fluide. Insbesondere sind die entwickelten Modelle sehr kompliziert und benötigen viele Parameter, was den quantitativen Vergleich mit Experimenten unmöglich macht.
PTB / PH