20.02.2008

Bis die Scholle schmilzt

Jürgen Graeser, ein Potsdamer Wissenschaftstechniker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), driftet zusammen mit 20 Russen auf einer Eisscholle in der Arktis.

Potsdam/Nordpol (dpa) - Minus 37 Grad, Eisbären schleichen um die Hütten und es ist stockdunkel: Jürgen Graeser hat derzeit einen ziemlich unwirtlichen Arbeitsplatz, der sich zudem täglich um knapp neun Kilometer verschiebt. Der Potsdamer Wissenschaftstechniker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) driftet zusammen mit 20 Russen auf einer Eisscholle in der Arktis und lässt unter anderem täglich einen Fesselballon für Temperaturmessungen aufsteigen. Dazu schlüpft er in seinen doppelt gefütterter Overall und geht hinaus in die schwarze Polarnacht. «Je nachdem, ob man überleben will oder nicht, hält man sich entsprechend kurz draußen auf», berichtet der 49-Jährige per E-Mail.

Aber manchmal stapft er doch bis zu vier Stunden durchs Eis, wenn etwa Brennstoff von einem Depot geholt werden muss. Die Expeditionsteilnehmer sind autark auf ihrer drei mal fünf Kilometer großen Eisscholle. «Nachschub gibt es keinen, alles, was wir brauchen, ist hier eingelagert», erzählt Graeser. So könnte man denken, dass die Forscher von Tütensuppen oder Fertiggerichten leben müssen, aber weit gefehlt: «Der Koch macht sogar Suppe aus Fleisch und Knochen und zum Frühstück gibt es Brot, Butter, Eier, Aufschnitt.»

Mit Graeser ist erstmals überhaupt ein Nicht-Russe bei einer derartigen Expedition dabei. «Seit 1937 arbeiten die russischen Klimaforscher auf Eisschollen und wir haben als erste die Chance genutzt, als die Driftstation für das Internationale Polarjahr 2007- 2008 für Ausländer geöffnet wurde», berichtet AWI-Sektionsleiter Professor Klaus Dethloff - aus dem milden Potsdam. Für die Experten sind Daten aus der Arktis von immenser Bedeutung, da die Polarregionen als «Frühwarnsysteme» für Temperaturveränderungen und - störungen gelten. «Aber bislang sind die Polaren Breiten die weißen Flecken auf unseren Datenkarten.»

Mit Hilfe der Daten, die Graeser täglich übermittelt, könne das AWI künftig exaktere Klimamodelle erstellen, erläutert Dethloff. Während Graeser mit seinem Fesselballon Temperatur, Feuchte und Wind in bis zu 300 Metern über dem Eis misst, starten seine russischen Kollegen täglich zwei Wetterballone, die Temperatur Druck, Feuchte und Wind in bis zu 30 Kilometern Höhe messen. «Zudem wird von mir einer dieser Ballone alle zwei bis drei Tage mit einem speziellen Ozonsensor ausgestattet, der Informationen über die Ozonverteilung in der Atmosphäre über der Station liefert», erzählt Graeser.

Die Expedition wurde im vergangenen September gestartet. Schwierig gestaltete sich die Suche nach einer geeigneten Scholle, doch schließlich war auch dieses Problem gelöst. «Die Russen wollen nun bleiben, bis die Scholle schmilzt, Graeser holen wir Ende April ab», sagt Dethloff. Dem Potsdamer Wissenschaftstechniker macht die absolute Abgeschiedenheit indes wenig aus: «Einen Koller bekommt man nicht.» Für wirkliche Aufregung im Camp sorgen allerdings dann und wann Eisbären sowie Risse im Eis.

Wenn Graeser gerade nicht arbeitet, zieht er sich zum Lesen oder DVD-Schauen zurück oder trifft sich mit seinen Freunden aus der Crew. Ein gemütliches Vollbad scheitert dagegen am fehlenden warmen Wasser: «Es gibt dreimal im Monat warmes Wasser, wenn allgemeiner Wasch-, Bade- und Saunatag ist.» Schließlich würde es zu viel Energie verschlingen, ausreichende Mengen Schnee zu schmelzen und heiß zu halten. So heißt es eben jeden Morgen: Katzenwäsche mit kaltem Schnee - brrrr. Nur wenig fehlt Graeser übrigens dort auf dem Eis: «Ich vermisse ein gemütliches Klo, eine Badewanne und frisches Obst und Gemüse.»

Imke Hendrich, dpa

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