Das Innenohr als Verstärker
Spontane Schwingungen ermöglichen den Haarzellen im Innenohr eine Verstärkung extrem schwacher Signale.
Während das menschliche Auge nur ein schmales Fenster an elektromagnetischen Wellenlängen erfassen kann, registriert das Gehör Töne und Geräusche, deren Frequenz und Amplitude etliche Größenordnungen überstreicht. Insbesondere sind wir in der Lage, auch extrem schwache Signale wahrzunehmen. Diese Leistung ist umso erstaunlicher, als die dabei in der Gehörschnecke erreichten Amplituden nicht ausreichen, um die Härchen der Sinneszellen hinreichend auszulenken. Die Haarzellen in der Gehörschnecke besitzen Bündel feiner Härchen, die je nach Position auf verschiedene Frequenzen ansprechen. Selbst Auslenkungen von einem Angström lassen sich so noch detektieren.
Abb.: Solche Haarzellen im Innenohr wandeln Schallwellen in elektrische Nervensignale um. (Bild: D. Bozovic, UCLA)
Es klingt auf den ersten Blick plausibel anzunehmen, dass die untere Hörgrenze erreicht ist, sobald das thermische Rauschen der Härchenbündel bei Körpertemperatur stärker wird als die Auslenkung durch Schallwellen. Allerdings nimmt das Gehör auch Geräusche wahr, deren Amplitude noch rund eine Größenordnung tiefer liegt. Es ist ein Rätsel der Sinnesphysiologie, wie das Gehör auf solch schwache Signale reagieren kann.
Forscher der University of California in Los Angeles haben nun herausgefunden, dass ein Teil der Lösung dieses Rätsels in der aktiven Verstärkung leiser Geräusche liegt. Dabei fanden sie einen ausgeklügelten Mechanismus, der auf der komplexen Phasenkopplung der Schallwellen mit spontanen Eigenschwingungen der Härchen beruht.
Abb.: Zeitliche Entwicklung der Phasendifferenz vor (a), während (b) und nach (c) der Anregung. Während der Anregung bilden sich Plateaus heraus, ansonsten zeigt sich diffusives Verhalten. (Bild: Y. Roongthumskul et al. / Nature)
Sie untersuchten in vitro präparierte Haarzellen aus dem Gleichgewichts- und Hörorgan von Ochsenfröschen, indem sie sie mit einer vibrierenden Glasfaser stimulierten. Die Schwingungsmuster zeichneten sie mit einer Hochgeschwindigkeitskamera auf und verfolgten das Schwingungsverhalten über einen größeren Bereich schwacher Amplituden.
Im Innenohr sitzen Tausende von Haarzellen, von denen jedes wiederum ein Bündel von dreißig bis fünfzig Härchen besitzt, die in die mit Flüssigkeit gefüllte Gehörschnecke ragen. Die Haarzellen setzen die Schwingungen der Schallwellen in elektrische Signale um, die von Nervenzellen ans Gehirn gesendet werden. Dabei ist je eine Nervenzelle mit einer ganzen Reihe von Haarzellen verknüpft.
Bei sehr schwachen Anregungen beobachteten die Forscher keine Auslenkung der Härchen. Jedoch änderte sich ihr Phasenverhalten. Die spontanen Schwingungen der Härchen synchronisierten sich mit den äußeren Signalen. Zwar war die Kopplung so schwach, dass beide Schwingungen häufig außer Phase gerieten und sich erst nach einem oder mehreren Zyklen wieder einpendelten. Im Mittel ließ sich jedoch eine Änderung des Schwingungsverhaltens feststellen.
Die Forscher modellierten die beobachteten Phasendifferenzen mit der stochastischen Form der Adler-Funktion und fanden dabei heraus, dass diese gut die Übergänge zwischen spontaner und phasengebundener Oszillation der Haarzellen beschreibt. Dieser Mechanismus könnte den Nervenzellen dazu dienen, auch sehr leise Geräusche zu detektieren. Das Gehör besäße also mit dieser Phaseninformation einen zweiten Informationskanal neben der direkten Auslenkung, um Schallwellen wahrzunehmen. In-vivo-Versuche hierzu stehen bislang aber noch aus.
Dirk Eidemüller
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