20.10.2016

Der Himmel im Wasserstoff-Licht

Radioteleskope vermessen Verteilung des neutralen Wasser­stoffs am Nord- und Süd­himmel.

Atomarer Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum. Zusätzlich zu den bekannten Spektral­linien des Wasser­stoffs in optischen Wellen­längen existiert eine schwache Linien­strahlung des Wasser­stoffs im Radio­bereich, die 21cm-Linie. Die dort abge­strahlte Energie ist gering, aber durch die riesige Menge von Wasser­stoff im Universum lässt sich die 21cm-Linie in fast allen kosmischen Bereichen nach­weisen, sogar weit außer­halb von Galaxien. Im Jahr 1951 gelang es drei Forscher­gruppen unab­hängig vonein­ander zum ersten Mal, 21cm-Linien­strahlung von HI nachzu­weisen. Heute, 65 Jahre später, veröf­fent­licht die inter­natio­nale Kolla­bo­ration HI4PI einen Spektral­atlas des gesamten Himmels im Licht der 21cm-Linie des neutralen Wasser­stoffs. HI4PI steht für „neutraler Wasser­stoff (HI) am gesamten Himmel (4 Pi Stera­dian)“.

Abb.: Der gesamte Himmel im Licht des neutralen Wasser­stoffs, aufge­nommen mit dem Parkes- und dem Effels­berg-Radio­tele­skop. Unsere Milch­straße erscheint als hell leuch­tendes Band mit dem galak­tischen Zentrum in der Bild­mitte. Zwei benach­barte Zwerg­galaxien, die Große und die Kleine Magel­lansche Wolke, sind auf­fällig sicht­bar in Orange unter­halb der Milch­straßen­ebene. (Bild: HI4PII Colla­bo­ration)

Mit modernen Radioteleskopen ist es zwar einfach, HI in jeder Richtung am Himmel nachzu­weisen. Eine Kartie­rung des gesamten Himmels ist aber nach wie vor zeit­intensiv und auf­wändig. Die komplette Kartie­rung erforderte mehr als eine Million indivi­dueller Beob­achtungen mit zwei der größten Radio­tele­skope der Erde, dem 100m-Radio­tele­skop in Effels­berg bei Bonn und dem Parkes-64m-Radio­tele­skop in Austra­lien. Insgesamt wurden einige Dutzend Tera­byte an Daten aufge­nommen. Die Roh­daten wurden von den Astro­nomen in Bonn zur nun fertigen Himmels­karte verar­beitet. „Neben einer sorg­fältigen Kali­bration der Daten mussten wir eine Reihe von Stör­signalen ent­fernen. Solche Radio­inter­ferenzen werden unter anderem von Tele­kommuni­kations- und Fernseh­stationen oder auch Radar-Systemen hervor­gerufen. Sie können die schwachen Radio­signale kosmischen Ursprungs komplett über­lagern“, erklärt Benjamin Winkel vom MPI für Radio­astro­nomie, der im Rahmen der HI4PI-Kolla­bo­ration für Daten­auf­nahme und Daten­verar­beitung verant­wort­lich ist. „Der Rechen­auf­wand für die Verar­beitung war gewaltig, zu Tausenden von Stunden Beob­achtungs­zeit sind noch einige Tausend Stunden für die Daten­analyse am Rechner hinzu­gekommen.“

Die neuen Beobachtungen wurden nur dadurch möglich, dass die tech­nische Aus­stattung der Radio­tele­skope im Lauf des letzten Jahr­zehnts enorm verbessert wurde. Zum einen haben neue Multi­pixel-Empfangs­systeme die Mess­geschwin­digkeit um nahezu eine Größen­ordnung erhöht, zum anderen stehen inzwischen sehr leistungs­fähige Spektro­meter auf der Basis von neu­artigen Digital­prozes­soren für eine hohe Band­breite zur Verfügung. Der bisherige Standard von Himmels­kartie­rungen in der HI-Linie wurde durch die Leiden-Argen­tinien-Bonn-Kartierung LAB gesetzt, die auf Messungen mit Radio­tele­skopen der 30m-Klasse basiert. HI4PI hat eine zweimal höhere Empfind­lich­keit und viermal bessere Winkel­auf­lösung im Vergleich zu LAB.

Da der neutrale Wasserstoff überall im Universum vorkommt, wird HI4PI eine wichtige Referenz­quelle für Forscher in vielen Bereichen der Astro­nomie darstellen, um sie mit Beob­achtungs­daten in allen möglichen Wellen­längen zu vergleichen. Beispiels­weise werden Röntgen- und Gamma­photonen zum Teil absorbiert, gestreut oder in andere Wellen­längen re-emit­tiert, wenn sie das Wasser­stoff­gas in unserer Milchstraße durch­dringen. Die Verteilung von HI in der Milch­straße hat also maßgeb­lichen Einfluss auf die Analyse von Beob­achtungen im Hoch­energie­bereich von Röntgen- und Gamma­strahlen. Mit den HI4PI-Daten wird es möglich, diese störenden Effekte für kosmische Signale aus großen Entfernungen zu korrigieren. Auch für Forscher, die die Verteilung des Gases in der Milch­straße selbst unter­suchen, stellt HI4PI ein wert­volles Hilfs­mittel dar. Mit der verbesserten Empfind­lich­keit und Winkel­auf­lösung der neuen Daten können nun wesent­lich detail­liertere Struk­turen im inter­stellaren Medium darge­stellt werden.

„HI4PI setzt Maßstäbe für die kommenden Dekaden“, schließt Jürgen Kerp von der Uni Bonn, Projekt­koordi­nator und leitender Wissen­schaftler von HI4PI. „Auch wenn zukünftige Tele­skope wie das Square Kilo­metre Array sowohl die Empfind­lich­keit als auch die Winkel­auf­lösung von Radio­beob­achtungen in ganz neue Bereiche bringen werden, so sind solche Inter­fero­meter bauart­bedingt leider unempfind­lich für die ausge­dehnte diffuse Kompo­nente des Wasser­stoff­gases. HI4PI wird auch hier eine erst­klassige Quelle dar­stellen, um die SKA-Daten mit den fehlenden Infor­ma­tionen zu vervoll­ständigen.“

MPIfR / RK

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