Der universalste aller möglichen Gelehrten
Auch 300 Jahre nach seinem Tod gibt es im Nachlass von Gottfried Wilhelm Leibniz Vieles zu entdecken.
Porträt von Gottfried Wilhelm Leibniz, gemalt um 1700 von Christoph Bernhard Francke (Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig)
Wenn ein Gelehrter und Wissenschaftler das Prädikat Universalgelehrter verdient, dann Gottfried Wilhelm Leibniz. Er begründete die moderne Mathematik durch Infinitesimalrechnung und logisches Kalkül und war durch seine Konstruktion von Rechenmaschinen und die Einführung des Binärsystems ein wichtiger Vorläufer der Informatik. Für die Physik formulierte Leibniz den Satz von der Krafterhaltung und prägte in diesem Zusammenhang den Terminus „Dynamik“. Er bereicherte die Philosophie durch grundlegend neue Gedanken und Ansätze und entwickelte richtungsweisende methodische Prinzipien für die Rechts- und Geschichtswissenschaft. Sein Prioritätenstreit mit Newton um die Erfindung der Infinitesimalrechnung ist legendär und wirkte lange nach.
Aus der Perspektive des heutigen ausdifferenzierten Wissenschaftssystems und der zunehmenden Spezialisierung wirkt die Vielfalt der Themen, mit denen sich Leibniz befasste, fast schon beliebig. Allerdings waren seine Gedanken und Arbeiten stets auf hohem oder höchstem Niveau seiner Zeit. Zudem war Leibniz zutiefst von der Einheit des Wissens und der Allgemeingültigkeit der Wahrheit überzeugt. Er hegte den Traum, die Vielgestaltigkeit des menschlichen Wissens in eine logische, metaphysische und pädagogische Einheit zusammenzuführen, die in christlicher Tradition dem Glück und dem Gemeinwohl des Menschen dienen möge.
Geboren wurde Leibniz am 1. Juli 1646 in Leipzig. Dort besuchte er die Alte Nikolaischule, immatrikulierte sich mit 15 an der dortigen Universität und begründete die Anfänge seiner weitverzweigten wissenschaftlichen Tätigkeit. . Die längste Zeit seines Lebens wirkte Leibniz in Hannover, wo er am 14. November 1716 starb. Am 300. Todestag ehrten sowohl Leipzig als auch Hannover Leibniz mit öffentlichen Festakten. In Hannover fand dieser an seinem Grab in der Neustädter Hof- und Stadtkirche statt.
Eine Ausstellung der Niedersächsischen Landesbibliothekt befasst sich mit dem letzten Lebensjahr von Gottfried Wilhelm Leibniz. Dieser Stich zeigt den sterbenden Leibniz (Quelle: J. A. Eberhard, Gottfried Wilhelm Freyherr von Leibnitz. Chemnitz 1795, S. 176)
Der umfangreiche Nachlass von Leibniz ist in seltener Geschlossenheit überliefert, weil er unmittelbar nach dessen Tod vom englischen König und hannoverschen Kurfürsten Georg I. beschlagnahmt wurde. Der wollte verhindern, dass eventuell politische Interna an die Öffentlichkeit gelangen. Der Nachlass umfasst rund 50000 Stücke mit etwa 100000 Blatt, darunter die Manuskripte zu allen veröffentlichten Leibnizschen Schriften und rund 15000 Briefe mit über tausend Korrespondenten. Leibniz schrieb hauptsächlich in Latein und Französisch und weniger in Deutsch. Hinzu kommen Texte unter anderem in englischer, italienischer und niederländischer Sprache.
Die historisch-kritische Edition der Schriften und Briefe von Gottfried Wilhelm Leibniz wird von drei Editionsstellen in Hannover, Potsdam und Münster in insgesamt acht Reihen erarbeitet. Seit 1923 erschienen rund 60 Bände. Für das Jubiläumsjahr ist der zweite Band der Reihe VIII angekündigt, die den naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Schriften von Leibniz gewidmet ist.
Bis Ende des Jahres und teilweise darüber hinaus gibt es in Hannover, Leipzig, Würzburg und Jena noch Sonderausstellungen zu Leibniz zu sehen. Den wissenschaftlichen Ideen Leibniz und ihrem Einfluss auf die moderne Wissenschaft ist die internationale Konferenz „Leibniz and the Sciences“ gewidmet, die am 15. und 16. November am Leipziger Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften stattfindet. Am 29. November lädt das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) in Berlin zu einer öffentlichen Veranstaltung ein, welche die Spuren, die Leibniz in der Mathematik hinterlassen hat, verfolgen möchte.
Dass die in Hannover ansässige Firma Bahlsen 1891 ihre Kekse mit Buttergeschmack ausgerechnet nach Leibniz benannte, lag zwar im Trend der damaligen Zeit, Produkte nach großen Persönlichkeiten zu benennen, ist aber durchaus nicht ohne Bezug zum Universalgelehrten, denn Leibniz hat sich auch mit Backwerk befasst. So empfahl er 1683 in seiner Abhandlung „Erfordernisse des Kriegswesens“, dass Soldaten statt mit Brot besser mit dem länger haltbaren Zwieback verpflegt werden sollten.
Alexander Pawlak / Universität Leipzig / Universität Hannover