Die spinnen, die Kugelsternhaufen
Entgegen theoretischen Modellen zeigen neue Beobachtungen, dass Kugelsternhaufen doch rotieren.
Neue Beobachtungen von Kugelsternhaufen der Milchstraße mit dem VIRUS -W Instrument am McDonald Observatorium zeigen, dass die Zentren dieser Objekte rotieren. Dieses Ergebnis ist überraschend, da bisher die Vorstellung bestand, dass sie aufgrund des hohen Alters bis heute eigentlich jegliche zentrale Rotation hätten verlieren sollen. Zudem stellten die Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik und der Universität von Texas in Austin fest, dass die Rotation in enger Beziehung zu der Abflachung der Haufen steht, was darauf hinweist, dass diese Abflachung eine Konsequenz der Rotation ist.
Abb.: Der Kern des Kugelsternhaufens Messier 13. Dieses Objekt ist nur 25 000 Lichtjahre von uns entfernt und misst etwa 145 Lichtjahre im Durchmesser. (Bild: ESA / Hubble / NASA)
Kugelsternhaufen sind uralte Formationen, die in fast allen Galaxien auftreten. Sie bestehen aus bis zu einer Million alter, metallarmer Sterne, die durch ihre Schwerkraft in einem engen Verbund gehalten werden. Aufgrund ihres Alters und ihrer einfachen, sphärischen Form – mit einer starken Konzentration der Sterne in Richtung Zentrum – wurden sie in der Vergangenheit meist als dynamisch und entwicklungsgeschichtlich recht einfache Systeme angesehen. Neuere Beobachtungen führen jedoch immer wieder zu überraschenden Ergebnissen.
„Bei allen Kugelsternhaufen, die wir beobachtet haben, finden wir ein Rotationssignal im Zentrum“, sagt Maximilian Fabricius, der leitende Wissenschaftler der Studie am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE). „Wir haben das nicht erwartet; ursprünglich wollten wir bei diesen Kugelsternhaufen ihre zentrale Geschwindigkeitsdispersion messen.“ Diese ist ein Maß für die zufälligen Bewegungen der Sterne.
„Theorie und numerische Simulationen von Kugelsternhaufen zeigen, dass jegliche zentrale Rotation auf relativ kurzen Zeitskalen verloren gehen sollte“, erklärt Eva Noyola, Co-Autorin der Studie an der Universität von Texas in Austin. „Da diese Kugelsternhaufen aber bereits vor Milliarden von Jahren entstanden, würden wir heute keine Rotationssignatur mehr erwarten. Frühere Messungen zeigten zwar eine gewisse Rotation bei einer Handvoll von Systemen, dabei wurde aber nur die Bewegung der Sterne in den Außenbereichen untersucht.“
Die neuen Messungen von fast einem Dutzend von Kugelsternhaufen waren nur mit Hilfe des VIRUS-W-Instruments am Harlan J. Smith 2,7-Meter-Teleskop des McDonald-Observatoriums in Texas möglich. Dieser am MPE entwickelte, so genannte „Integrale Feld-Spektrograph“ (IFU) ermöglicht es den Wissenschaftlern, gleichzeitig mehr als 260 Spektren in einem zweidimensionalen Sichtfeld aufzuzeichnen und damit die Bewegung der Sterne mit einer Genauigkeit von einigen Kilometern pro Sekunde zu bestimmen. So lassen sich die Zentren der Haufen schon in einigen wenigen Stunden auf Rotation untersuchen. Ein derartiges Projekt war vor VIRUS-W nicht möglich.
Traditionell bestimmen Astronomen die Geschwindigkeiten von Haufensternen entlang der Sichtlinie jeweils einzeln mit hochauflösenden Spektrographen, mit denen sich die Doppler-Verschiebung der Sterne bestimmen lässt. Dieses Verfahren ist jedoch langwierig und lässt sich aufgrund der großen Zahl von Sternen im Zentrum eines Kugelsternhaufens nur sehr schwierig anwenden. Daher gab es bisher keine systematischen Untersuchungen zur zentralen Kinematik von Kugelsternhaufen. Auch wenn das VIRUS-W-Instrument ursprünglich entwickelt wurde, um die Kinematik naher Galaxien zu untersuchen, lässt sich die Kombination aus dem großen Sichtfeld und der relativ hohen spektralen Auflösung dieses Instruments sehr effizient auch für die Untersuchung von Kugelsternhaufen einsetzen.
In der Milchstraße existieren etwa 150 Kugelsternhaufen. Für die Studie wählten die Astronomen 27 aus, die vom McDonald-Teleskop – d.h. im Nordhimmel – beobachtet werden können. Von August 2012 bis August 2013 standen die ersten 11 Kugelsternhaufen im Fokus. Jetzt präsentiert das Team seine überraschenden Ergebnisse: alle Haufen zeigen ein Rotationssignal. Darüber hinaus steht die Rotation in sehr enger Beziehung zu der relativ schwachen Abflachung der Kugelsternhaufen. Dies deutet darauf hin, dass es die Rotation ist, die für die Abflachung dieser Haufen verantwortlich ist und nicht zum Beispiel der Einfluss des Gezeitenfeldes der Milchstraße.
Diese Ergebnisse werfen interessante Fragen in Bezug auf die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung der Kugelsternhaufen auf – keines der aktuellen theoretischen Modelle sagt eine derart weit verbreitete Rotation vorher. Allerdings sollte man beachten, dass unter den vorliegenden Messungen keine Kugelsternhaufen sind, bei denen ein sogenannter „Kernkollaps“ stattgefunden hat. Es ist vorstellbar, dass bei diesem Prozess die Rotation verloren geht. Zukünftige Beobachtungen der restlichen Haufen werden bei der Beantwortung weiterer Fragen helfen, wie der nach einer möglichen Korrelation zwischen der Rotation und der Position eines Kugelsternhaufens in unserer Milchstraße.
MPE / DE