09.12.2014

Ein Stück „Raumschiff Enterprise“ an Bord der ISS

Alexander Gerst hat während seiner Mission das Experi­ment MagVector/MFX im Columbus-Modul ein­gebaut.

Magnetfelder bewahren Planeten wie unsere Erde vor der starken ionisierten Partikelstrahlung der Sonne und anderer kosmischer Quellen. In den „Star Trek“-Abenteuern wird die „Enterprise“ auf ihren Reisen zu fernen Sternen von einem Schutz­schild umgeben, das diese starke Stern­strahlung abschirmt. Noch ist so eine Techno­logie Zukunfts­musik. Noch müssen aufwendige Verklei­dungen bei Raumfahrzeugen und -stationen den Sonnenwind abwehren. Wenn wir die Magnet­felder und ihre Schutz­mecha­nismen besser verstehen, dann könnte „Raumschiff Enterprise“ in naher Zukunft keine bloße Fiktion mehr sein. Das Magnetic Field Experiment MagVector/MFX des Raum­fahrt­manage­ments im Deutschen Zentrum für Luft- und Raum­fahrt testet auf der Interna­tionalen Raum­station, wie Magnetfelder mit einem elektrischen Leiter in Wechsel­wirkungen treten, um dem Geheimnis dieser Schutz­hüllen auf die Spur zu kommen.

Abb.: Alexander Gerst baut MagVector/MFX ein. (Bild: NASA)

Vom 17. bis 19. November herrschte eine starke Anspannung auf dem Airbus-Gelände in Bremen und am German Space Operation Center (GSOC) auf dem DLR-Gelände in Oberpfaf­fenhofen. Grund dafür ist ein rund 75 Kilogramm schwerer, bananen­kisten­großer Quader im European Drawer Rack des europäischen Columbus-Moduls. „Wir haben diese Nutzlast in Rekordzeit entwickelt, gebaut, qualifiziert und auf die ISS gebracht. Wir wollten MagVector/MFX unbedingt auf dem letzten europä­ischen Raum­transporter ATV-5 fliegen und haben dafür die Nutzlast buchstäblich in letzter Minute abgeliefert. Das ganze MagVector/MFX-Team hat hier eine hervorragende Arbeit geleistet", freut sich DLR-Projekt­manager Volker Schmid. Nach einigen Testläufen im September und Oktober, die noch der deutsche Astronaut Alexander Gerst während seiner „Blue Dot“-Mission startete und bei denen Schritt für Schritt die einzelnen Subsysteme getestet wurden, begann nun erstmals eine volle Messkampagne. MagVector/MFX lief fast drei Tage ohne Unterbrechung.

In diesem Experiment­einschub steckt eine ganz spezielle Probe: In einer kühlbaren Vakuumkammer liegt ein elek­trischer Leiter mit veränder­barer Leit­fähigkeit. Mit ihm können verschiedene Zustände nachgestellt werden. So haben die Forscher erstmals gemessen, wie sich die Magnet­feld­struktur um ihn herum verändert hat, während er um die Erde kreist. Denn ein Feld um einen bewegten Leiter herum entwickelt sich nicht gleichmäßig: Der Strahlenschutz der Erde und zahlreicher anderer Planeten wird durch einen Dynamo im Inneren der Himmelskörper angetrieben – einem metallischen Kern, der von mehreren rotierenden Mantel­schichten umgeben ist. Im tiefsten Inneren entsteht das Feld, das unsere Erde vor dem perma­nenten Beschuss durch hoch­energe­tische Teilchen – dem Sonnenwind – und der kosmischen Strahlung bewahrt. Wie bei diesem Schutzschild unserer Erde staut sich das Feld vor dem Leiter auf der ISS auf und dünnt sich hinter ihm wieder aus. „Der Nachweis dieses magnetischen Staueffekts und der Ausdünnung – analog zur Strömungs­mechanik – wurde so zum ersten Mal bei unterschiedlichen elektrischen Leitfähigkeiten, die über unterschiedliche Temperaturen erreicht werden, gemessen“, erklärt Schmid.

Doch es gibt auch Planeten und andere Himmelskörper, die nicht selbstständig ein Magnetfeld erzeugen können. Bei unseren Nachbarn Venus und Mars trifft das Magnetfeld der Sonne direkt auf die jeweiligen Planeten­atmo­sphären: Dieses bewegte Feld reagiert mit den durch UV-Strahlung elektrisch leitfähig gewordenen Atomen in der Ionosphäre der beiden Himmels­körper. Die Ionosphären verändern dabei den Ladungs­zustand ihres Planeten so stark, dass sie von einem schlechten elektrischen Leiter zu einem sehr guten werden. Bisher wurden solche Wechselwirkungen nur durch kostspielige Satellite­nmissionen vor Ort untersucht. Doch ist der Orbiter einmal gestartet, dann können Forscher die voreinge­stellten Mess­programme kaum noch oder gar nicht mehr verändert, um die Parameter den Umgebungsbedingungen anzupassen. „Auf der ISS ist das ganz anders: Hier herrschen ideale Voraus­setzungen, um solche Fragestellungen mit dem variablen elektrischen Leiter des MagVector/MFX-Experiments und dem Erd­magnet­feld zu simulieren“, so Schmid. Gleichzeitig wird das lokale Magnetfeld der Erde als Referenz gemessen. Nach der Auswertung eines Datensatzes lässt sich die Einstellung der Experiment­bedingungen immer wieder neu vornehmen beziehungsweise verändern. Das Bodenkontrollzentrum in Oberpfaf­fenhofen, unterstützt vom ESC bei Airbus in Bremen, übermittelt die neuen Einstellungen zur ISS. In Bremen werden die frischen Messwerte von den Wissenschaftlern ausgewertet. So kann das Experiment nun erstmals astro­physika­lische Zustände und Wechsel­wirkungen zwischen dem irdischen Magnetfeld und den verschiedensten Körpern im Sonnensystem direkt untersuchen, indem sie in der Experi­mentbox an Bord der ISS nachgestellt werden. „Mit dieser wichtigen Grundlagen­forschung stößt MFX ein Tor zur experimentellen Astrophysik auf“, ist sich Schmid sicher.

„Die ISS ist ein ideales Testgebiet: Sie durchfliegt mit einer Orbital­geschwin­digkeit von rund 7,5 Kilo­metern pro Sekunde ständig das Erdmagnetfeld – eine einzigartige Labor­umgebung, um an einem effektiven Schutzschild zu forschen“, erklärt Schmid. Bislang müssen Raum­sonden oder Astronauten in einem Raumschiff durch aufwendige Spezial­verklei­dungen mehr oder wenigen schlecht vor dem „Dauerfeuer“ des Sonnenwindes bewahrt werden. Auf der Enterprise schirmt ein solches Magnet­schutz­schild Captain Kirk & Co. von den rasenden Sonnen­teilchen ab. Das ist noch Zukunftsmusik. Doch wenn sich durch MagVector/MFX zum Beispiel folgende Fragen beantworten lassen, könnte man einem solchen Schild schon einen ganzen Schritt näher kommen: Wie inter­agieren die Iono­sphären – vergleichbar mit unterschied­lich guten elektrischen Leitern – mit dem solaren Magnetfeld? Wann bildet sich eine künstliche Magnetosphäre? Wie groß ist das Magnetfeld unserer Erde? Was passiert mit dem Feld im Planeteninneren in Abhängigkeit von der Leitfähigkeit? Wie lassen sich Magnetfelder von Sonne und anderen Himmels­körpern für Raum­fahrt­anwendungen nutzen? „MagVector/MFX hat erste Ergebnisse geliefert, um diese Fragen in den kommenden Monaten und Jahren zu beantworten“, betont Schmid.

DLR / OD

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