Elektronen aus dem Weltall
H.E.S.S.-Kollaboration misst die energiereichsten Elektronen und Positronen, die je auf der Erde gemessen wurden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der H.E.S.S.-Kollaboration, darunter ein Konsortium deutscher Universitäten, das Max-Planck-Institut für Kernphysik und das CNRS in Frankreich, haben kürzlich die energiereichsten Elektronen und Positronen identifiziert, die je auf der Erde gemessen wurden. Sie liefern Beweise für kosmische Prozesse, die enorme Energiemengen freisetzen, deren Ursprung noch unbekannt ist.
Extreme Objekte wie Supernovaüberreste, Pulsare oder aktive galaktische Kerne können geladene Teilchen und Gammastrahlung erzeugen, deren Energien um Größenordnungen über denen liegen, die bei thermischen Prozessen wie etwa der Kernfusion in Sternen erreicht werden. Während das emittierte Gammalicht ungestört den Weltraum durchquert, werden die geladenen Teilchen von den allgegenwärtigen Magnetfeldern im Universum abgelenkt und erreichen die Erde gleichmäßig aus allen Richtungen. Zudem verlieren die geladenen Teilchen dabei durch die Wechselwirkung mit Licht und Magnetfeldern Energie. Besonders stark sind diese Verluste vor allem bei den energiereichsten Elektronen und Positronen mit Energien über Teraelektronenvolt, den Elektronen der kosmischen Strahlung (CRe). Ihr Nachweis auf der Erde ist daher ein eindeutiger Hinweis auf die Existenz starker kosmischer Teilchenbeschleuniger in der Nähe unseres Sonnensystems, auch wenn sie nicht zur Bestimmung ihres Ursprungs im Weltraum verwendet werden können.
Allerdings ist der Nachweis dieser hochenergetischen Teilchen schwierig: Weltraumbasierte Teleskope mit einer Detektorfläche von rund einem Quadratmeter können nicht genügend der seltenen Teilchen einfangen. Bodengebundene Instrumente können zwar die Teilchenkaskaden nachweisen, die beim Auftreffen kosmischer Teilchen auf die Erdatmosphäre ausgelöst werden, stehen aber vor der Herausforderung, die von Elektronen oder Positronen ausgelösten Kaskaden von den deutlich häufiger auftretenden Kaskaden zu unterscheiden, die durch den Aufprall schwererer kosmischer Kerne entstehen. Im Jahr 2008 gelang es Forschenden erstmals, diese CRe in den Daten des bodengestützten H.E.S.S.-Cherenkov-Teleskops zu identifizieren.
Das H.E.S.S.-Observatorium in Namibia verwendet fünf große abbildende atmosphärische Cherenkov-Teleskope, um das schwache Cherenkov-Licht zu erfassen, das von hochgeladenen Teilchen und Photonen erzeugt wird, die die Atmosphäre unseres Planeten durchdringen und dadurch eine Kaskade von Teilchen erzeugen. Obwohl das Observatorium in erster Linie dazu dient, Gammastrahlen zu detektieren, zu selektieren und ihre Quellen zu vermessen, können die Daten auch für die Suche nach kosmischen Elektronen verwendet werden. In der neuen Analyse konnten neue Erkenntnisse über den Ursprung dieser Teilchen gewonnen werden. In ihrer Arbeit werteten die Astrophysiker den riesigen Datensatz, der über ein Jahrzehnt lang von vier der H.E.S.S.-Teleskope gesammelt worden war, neu aus und wendeten dazu neuartige und strenge Selektionsalgorithmen an, um kosmische Elektronen mit einer beispiellos niedrigen Hintergrundkontamination zu identifizieren.
Dies führte zu einem bisher unerreichten statistischen Datensatz für die Analyse der kosmischen Elektronen. Insbesondere konnten die Forschenden der Kollaboration erstmals CRe-Daten in den höchsten Energiebereichen bis zu vierzig Teraelektronenvolt gewinnen. „Wir beobachten, dass das Energiespektrum der CRe mit zunehmender Energie einen sanften Abfall zeigt, bei etwa einem Tera-Elektronenvolt wird das Spektrum allerdings schlagartig deutlich steiler. Sowohl oberhalb als auch unterhalb dieses Bruchs folgt das Spektrum einem Potenzgesetz und enthält keine weiteren Auffälligkeiten, wie sie von vielen Modellen für die CRe-Beschleunigung vorhergesagt wurden“, sagt Mathieu de Naurois vom Laboratoire Leprince-Ringuet, École Polytechnique.
Die Forscher stellten jedoch fest, dass der Übergang von dem flachen zu einem steilen Abfall des Energiespektrums bei etwa einem Teraelektronenvolt überraschend scharf ist. „Das ist ein wichtiges Ergebnis, denn wir können daraus schließen, dass die gemessene kosmische Strahlung höchstwahrscheinlich nur von einigen wenigen Quellen in der Nähe unseres eigenen Sonnensystems stammt, die maximal einige tausend Lichtjahre entfernt sind – eine sehr geringe Entfernung im Vergleich zur Größe unserer Galaxie. Emissionen von sehr vielen Quellen in unterschiedlichen Entfernungen würden dieses Signal viel stärker verwischen“, sagt Kathrin Egberts von der Universität Potsdam. „Mit unserer detaillierten Analyse konnten wir den Ursprung dieser kosmischen Elektronen erstmals stark eingrenzen.“
Werner Hofmann vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg erläutert die Bedeutung der neuen Analyse für die astrophysikalische Forschung: „Die sehr geringen Flussraten bei hohen Energien schränken die Möglichkeiten weltraumgestützter Missionen, ähnliche Messungen durchzuführen, stark ein. Unsere Analyse liefert nun Daten in einem entscheidenden und bisher unerforschten Energiebereich, die unser Verständnis der lokalen Umgebung beeinflussen. Sie wird daher wohl auf absehbare Zeit den Maßstab in diesem Energiebereich liefern.“
MPIK / JOL