17.08.2006

Ferne Details

Erstmals konnten Astronomen Prozesse in einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten Sternsystem mit einer Auflösung von nur 0,15 Bogensekunden beobachten.



Erstmals konnten Astronomen Prozesse in einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten Sternsystem mit einer Auflösung von nur 0,15 Bogensekunden beobachten.

Eine internationale Gruppe von Astronomen hat große Scheibengalaxien entdeckt, die unserer Milchstraße ähneln und sich in vergleichsweise kurzer Zeit etwa drei Milliarden Jahre nach dem Urknall gebildet haben müssen. Mit einer Kombination aus adaptiver Optik und dem neuen SINFONI-Spektrometer gelang es den Forschern am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte, die Anatomie einer dieser Galaxien mit einer Rekordauflösung von nur 0,15 Bogensekunden zu studieren. „Zum ersten Mal haben wir derart detailreiche Bilder der Gasbewegung in einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten Sternsystem gewonnen“, sagt Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching.

Abb. 1: Wasserstoff-(Hα)-Emission der rund elf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie BzK-15504. Die Farben zeigen, ob sich das ionisierte Gas von uns weg (rot), auf uns zu (blau) oder scheinbar gar nicht bewegt (grün), jeweils im Verhältnis zum gesamten restlichen System. Die Galaxie scheint eine Scheibe wie unsere Milchstraße zu sein, die mit 230 Kilometer pro Sekunde um die gelbe Achse im Zentrum des galaktischen Kerns (weißes Kreuz) rotiert. (Bild: Genzel et al. / ESO)

Im vergangenen Jahrzehnt haben die Astronomen eine Theorie der Galaxienbildung und -entwicklung im jungen Universum erarbeitet: Gas gewöhnlicher Materie kühlte ab und sammelte sich in Konzentrationen der mysteriösen Dunklen Materie. Danach führten Kollisionen und Fusionen von Milchstraßensystemen zur hierarchischen Struktur einer Galaxie. Dieses grundsätzliche Szenario lässt jedoch offen, in welchen Zeiträumen und wann sich die Galaxien gebildet haben, und wann und auf welche Weise deren Kernregionen (bulges) und Scheiben - die hauptsächlichen Bestandteile heutiger Sternsysteme - entstanden sind.

Wertvolle Antworten hat jetzt die groß angelegte SINS-Studie über weit entfernte, leuchtstarke junge Milchstraßensysteme („Protogalaxien“) geliefert. Dabei setzten die Forscher am Very Large Telescope das neuartige Infrarot-Spektrometer SINFONI ein, das in Kombination mit dem Korrektursystem der adaptiven Optik scharfe Bilder und hoch aufgelöste Farbinformationen (Spektren) von Himmelsobjekten erzeugt.

Im Fall der rund elf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie BzK-15504 erzielten die SINFONI-Beobachtungen eine Winkelauflösung von 0,15 Bogensekunden. (Zum Vergleich: Der Vollmond erscheint am irdischen Himmel unter einem Winkel von 1800 Bogensekunden.) Der genannte Wert entspricht in dem fernen Sternsystem einer Strecke von nur 4000 Lichtjahren. Die Bilder zeigen eine große, massereiche rotierende Protoscheibe, die Gas zu einem stetig wachsenden Kernbereich mit vielen jungen Sternen leitet.

Die Forscher schließen daraus auf hohe Geburtsraten und ein vergleichsweise niedriges Alter der Sterne. Daher glauben sie, dass sich dieses Milchstraßensystem schnell gebildet hat - durch Fragmentierung und Sternentstehung in einer ursprünglich sehr gasreichen Protoscheibe. Beobachtungen an mehreren anderen Galaxien bei hohen Rotverschiebungen (also großen Distanzen) brachten ähnliche Ergebnisse.

Abb. 2: Diese hoch aufgelösten Bilder von BzK-15504 zeigen, dass die Sternentstehung in dieser jungen Galaxie in spektakulären lichtstarken und massereichen Komplexen („bright spots“) erfolgt und Gas mit hohen Geschwindigkeiten in die Kernregion strömt, um dort einen dichten stellaren „bulge“ zu bilden. Mit der Zeit könnte sich dieses System in eine kompakte, massereiche elliptische Galaxie verwandeln. (Bild: Genzel et. al. / ESO)

„Am Anfang des Programms gingen wir davon aus, überwiegend unregelmäßige und vielleicht sogar chaotische Bewegungen beobachten zu können, wie sie die im jungen Universum häufig stattfindenden Kollisionen von Galaxien auslösen. Umso überraschter waren wir, als wir eine Reihe von großen rotierenden und gasreichen Scheibengalaxien entdeckten, deren kinematische Eigenschaften denen unserer heutigen Milchstraße sehr stark ähneln“, sagt Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und Erstautor des Nature-Artikels.

Größe und schnelle Rotation dieser Galaxien seien ein Hinweis darauf, dass das Gas einen vergleichbaren „Spin“ aufweist wie die Ansammlungen Dunkler Materie, aus denen es sich abgekühlt hat. Auf diese Weise lasse sich eine wichtige Frage der Galaxienentstehung empirisch beantworten. Natascha Förster Schreiber, Balzan-Stipendiatin am Garchinger Max-Planck-Institut und Erstautorin eines vor kurzem im Astrophysical Journal erschienenen Artikels, ergänzt: „Wir müssen jetzt versuchen zu verstehen, wie diese frühen Protoscheiben sich danach weiterentwickelt haben. Wir vermuten, dass sie nicht stabil geblieben sind.“

Die SINFONI-Daten legen nahe, dass sich die Protoscheiben schließlich in dichte elliptische Scheiben verwandelt haben - entweder durch Prozesse, die sich in ihrem Inneren abspielten, so etwa durch spektakuläre Gaszuströme wie im Objekt BzK-15504, oder durch Kollisionen und Fusionen mit anderen Galaxien.

Einen weiteren bedeutenden Aspekt bieten die sehr hohen Sternentstehungsraten, die für viele der hoch rotverschobenen leuchtstarken Galaxien hergeleitet werden konnten: Dort ist die Geburtenrate etwa hundert Mal höher als heute in unserer Milchstraße. „Wir haben zunehmende Beweise dafür, dass sich massive, weit entfernte Galaxien viel schneller gebildet haben als ursprünglich angenommen“, sagt Andrea Cimatti, Teammitglied und Wissenschaftler an der Universität Florenz: „Die neuen SINFONI-Daten verschaffen uns einen ersten Eindruck davon, welche Prozesse möglicherweise beteiligt sind.“

Das SINS-Programm am Very Large Telescope lässt erahnen, was in den nächsten Jahren mit der Kombination aus feldabbildendem Spektrometer und adaptiver Optik möglich wird. Alice Shapley, Forscherin am Princeton Observatory erklärt: „Diese Beobachtungen sind wirklich aufregend. Jetzt geht es darum, ähnlich hervorragende Daten für eine größere Anzahl von Galaxien zu erhalten, um unser Wissen über die Galaxienbildung weiter auszubauen.“

Hintergrund: SINFONI
SINFONI ist eine Kombination aus einem neuartigen feldabbildenden Spektrometer (Integral Field Spectrometer - SPIFFI) und einem speziellen adaptiven Optikmodul (MACAO). SPIFFI erzeugt detaillierte Farb- oder Spektralinformationen für mehr als 2000 Bildpunkte am Himmel, angeordnet in einem zusammenhängenden Feld von 32 mal 64 Bildpunkten. Das adaptive Optikmodul MACAO tastet die durch Refraktion und Turbulenz der Erdatmosphäre verursachten Verzerrungen durch Schnellanalyse der Abbildungen eines Sterns neben dem untersuchten Objekt ab. Mit einem verformbaren Spiegel im Strahlengang des Instruments werden diese Verzerrungen dann korrigiert. Durch diese einzigartige adaptive Optik liefert SINFONI Bilder mit hoher Auflösung für jeden der rund 2000 Spektralkanäle. SINFONI wurde von einem internationalen Konsortium, bestehend aus dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching (Frank Eisenhauer), ESO (Henri Bonnet) und NOVA, Leiden, Niederlande (Koordinator Paul van der Werf) entwickelt und gebaut.

Quelle: MPG / [HOR]

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